Zweierlei Missbrauch

27. August 2014


In den Medien ist in diesen Tagen von zwei besonders schlimmen Fällen sexuellen Missbrauchs die Rede. Zum einen geht es um den ehemaligen Nuntius in der Dominikanischen Republik, der beschuldigt wird, in der Zeit von 2008 bis 2013 vier Jungen sexuell missbraucht zu haben. Zum anderen geht es um eine Gruppe Pakistani, die beschuldigt wird, in der Zeit von 1997 bis 2013 1400 Jungen und Mädchen sexuell missbraucht zu haben.

Grauenvolle Verbrechen in schier unvorstellbarem Ausmaß, die nicht sinnvoll miteinander verglichen werden können. Im Fall des Nuntius geht es um einen Einzeltäter, der offenbar in bereits existenten Kinderbordellen verkehrte (was die Sache selbst nicht besser macht), in Fall der Pakistani um das gewaltsame und brutale Schaffen einer Missbrauchsstruktur in einer englischen Stadt, von der Experten der Ansicht sind, sie sei in dieser Hinsicht kein Einzelfall, sondern geradezu typisch für englische Städte vergleichbarer Größe.

Im Fall des Nuntius haben die zuständigen Behörden gehandelt: Er wurde vom Vatikan seines Amtes enthoben und aus dem Klerikerstand entlassen. Er erwartet nun seinen Prozess. Im Fall der Pakistani haben die zuständigen Behörden nicht gehandelt: Aus Angst vor Rassismus-Vorwürfen wurden die Taten trotz zahlreicher eindeutiger Hinweise nicht verfolgt. Erst 2010 wurden fünf der mutmaßlichen Täter zu Haftstrafen wegen Kindesmissbrauchs verurteilt. Wie gesagt: Grauenvolle Verbrechen, die nicht sinnvoll miteinander verglichen werden können.

Was man aber vergleichen kann, das ist die mediale Rezeption, insbesondere, was die Kommentare angeht. Die TagesschauArtikel, die sich mit dem Fall in England befassen, erreichen bislang 13 bzw. 18 Kommentare, in denen es – neben dem angemessen Ausdruck des Entsetzens – auch um die Rolle der Behörden geht, insbesondere aber um die Frage der falsch verstandenen „political correctness“ und möglicher Folgen für den Diskurs um Migration. Der Welt-Artikel über den Fall in der Dominikanischen Republik erreicht 36 Kommentare, in denen es mehrheitlich um die Frage der Kirche im Allgemeinen und des Kirchenaustritts im Speziellen geht.

Während man also im Fall der systematisch agierenden verbrecherischen Organisation noch nach korrekten sprachlichen Umgangsformen sucht, die zwar nicht im herkömmlichen Sinne politisch korrekt, aber eben auch nicht einseitig zu Lasten einer Menschengruppe ausfallen sollen, hat man für den Fall des Einzeltäters bereits die richtige sprachliche Umgangsform gefunden („Doppelmoral und Verlogenheit der Katholischen Kirche“, „der Grund, weswegen ich aus der Kirche ausgetreten bin“, „genauso wie im finsteren Mittelalter“, „Heuchelei“), auch, wenn sie manchmal überkomplexe Züge annimmt: „Zölibat aufheben, dann könnten auch Priester normal leben. Eigenartig ist ja schon, dass die evangelische Kirche zumindest von diesem Thema kaum betroffen scheint. Abgesehen davon, dass Religion per se Ausdruck der menschlichen Abgründe ist.“ Ansonsten gilt die Hoffnung, „dass bald mal auch dem letzten ‚Gläubigen‘ in der Katholischen Kirche klar wird, was für einem gottlosen System er dort dient“. Und schließlich „weiß“ Kommentator morgaltz „was da hilft“, nämlich: „Der deckenden ‚Organisation‘ Kapital entziehen!“ Womit wir dort gelandet wären, wo alle Diskussionen über die Kirche landen: bei der Kirchensteuer.

Also: Keine Androhungen, den nächsten England-Urlaub abzusagen? Kein Aufruf an die Briten, ihr Land zu verlassen? Kein „Pakistani sind Kinderschänder!“? Kein „Typisch Behörden – decken den Missbrauch wie in der Frühen Neuzeit!“ Nein? Wie bitte? Das wäre Schwachsinn? Eben.

(Josef Bordat)