„Pegida“. Und ich.

22. Dezember 2014


Oder: Das Abendland retten. Und die demokratische Kultur.

„Wo stehst Du eigentlich?“ – Es ist schon komisch: Wer sich für Andersdenkende interessiert, Fairness fordert, gar nach Verständnis Ausschau hält, steht schnell im Verdacht, gar nicht andersdenkend zu sein, sondern sich – und sei es nur klammheimlich – die andere Position längst zu eigen gemacht zu haben. Doch wer meint, die einzig legitime Reaktion auf „Pegida“ sei, ihre Aufmärsche um jeden Preis zu „verhindern“, offenbart nicht nur ein eigentümliches Verständnis von Freiheit und Toleranz (und damit von Demokratie), er verhält sich auch wie ein Mensch, der, wenn die Alarmanlage seines Hauses heult, einfach deren Kabel durchschneidet, um endlich wieder ungestört die Ruhe genießen zu können. Wer hingegen als Gleicher wahrgenommen und infolgedessen für die „Bewegung“ vereinnahmt wird, dann aber deutliche Kritik übt, gilt schnell als „Verräter“ – obgleich er nie einen Treueschwur leistete. In Sachen „Pegida“, über die ich in den letzten Tagen das eine oder andere schrieb, wird von mir eine klare Position verlangt. Wenn ich sage, dass ich diese gerade erst entwickle und dass dieser Prozess – zumindest bei mir – etwas Zeit braucht, reagiert manch einer unwirsch. Es ist natürlich leichter, reflexartig zu reagieren, dann hat man entweder seine himmlische Ruh‘ oder gilt zumindest einigen als mutig und glaubwürdig, aber das mit den Reflexen liegt mir nicht so.

Denn ich gehe in geradezu pathologischer Manier von den Fakten aus, nicht von den Vorurteilen. Das mag man mir übel nehmen, ich kann es aber nicht ändern. Fakt ist – wie verschiedene Umfragen diverser Institute, die von ganz unterschiedlichen Medien in Auftrag gegeben wurden übereinstimmend zeigen – folgendes: 1. Etwa die Hälfte der Deutschen hat Verständnis für das Anliegen von „Pegida“, ein Drittel stimmt ihm zu. 2. Verständnis und Zustimmung gibt es sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands; die Differenzen sind nicht signifikant. 3. Verständnis und Zustimmung gibt es bei den Anhängern aller im Bundestag vertretenen Parteien. Etwa die Hälfte der Unions- und SPD-Anhänger versteht das Anliegen von „Pegida“, bei Linken- und Grünen-Anhängern ist es jede und jeder Fünfte. Daraus schließe ich folgendes: 1. Verkürzte Deutungen greifen zu kurz. „Pegida“ ist weder ein Ost-Phänomen, noch sind die „Pegida“-Unterstützer allesamt „Nazis“. 2. Eine Bewegung, die innerhalb weniger Wochen ein Drittel der Deutschen hinter sich und Woche für Woche Tausende auf die Straße bringt, spricht Themen an, die viele Menschen seit langem bewegen und deren Behandlung bisher unzureichend war. 3. Wir – Politik, Kirchen, Zivilgesellschaft – müssen uns genauer mit diesen Themen auseinandersetzen. Und weit mehr tun als uns reflexartig zu distanzieren und uns dann gut zu fühlen.

Das ist die Grundlage meiner Überlegungen. Jetzt konkret zu „Pegida“. Ich will mal den Stand der Dinge, was meine Überlegungen angeht, zusammenfassen: Ich habe für die Sorgen der Menschen, die sich „Pegida“ verbunden fühlen, Verständnis, nicht aber für die Art der Auseinandersetzung, die „Pegida“ wählt. Ich würde mir statt einer populistischen und kontrafaktischen Vermengung von Themen (Migration, Islamisierung, soziale Unsicherheit) eine differenzierte Betrachtung wünschen. Und statt Zuspitzung Aufklärung. Dazu gehört es zu betonen, dass Migranten gerade auch die soziale Sicherheit der Einheimischen stärken. Das tun sie schon und das werden sie in Zukunft noch viel mehr tun. Wir brauchen Einwanderer, wenn wir das Abendland retten wollen. Dazu gehört aber auch, dass man den Zuwachs des Islam in Europa nicht leugnet und die damit verbundenen Spannungen nicht herunterspielt. Die Rettung des Abendlandes hängt eng damit zusammen, dass wir diese Spannungen antizipieren und mit den Mitteln des Rechtsstaats auflösen, bevor sie zu groß werden, zu groß für den Rechtsstaat.

Die Perzeption des Themas Islamisierung hängt natürlich auch damit zusammen, ob man – wie ich – in Berlin lebt oder im Bayrischen Wald. Ich habe unterschiedliche Erfahrungen mit Angehörigen des Islam gemacht, dem in Berlin etwa 10 Prozent der Menschen zuzurechnen sind. Ich kenne den Islam nur als Außenstehender. Als solcher habe ich Muslime einerseits als hochgebildet, gastfreundlich, höflich, respektvoll und interessiert erlebt, gerade auch meiner eigenen Religiosität gegenüber (ein sehr toleranter Wesenszug, den ich bei kirchenfernen Landsleuten oft vergeblich suche). Als ich mal aus Krücken angewiesen war und öffentliche Verkehrsmittel betrat, waren es überdurchschnittlich oft Türkenjungs, die gleich aufstanden und mir einen Platz anboten. Ich habe allerdings auch das glatte Gegenteil erlebt: Muslime, die meinten, mich in beruflichen oder geschäftlichen Angelegenheiten nicht recht ernst nehmen zu müssen, muslimische Nachbarn, die bei Hoffesten jeden Kontakt ihrer Kinder mit den Kindern der Nicht-Muslime unterbanden, Türkenjungs, die eine Fronleichnamsprozession im Wedding mit Hohngelächter und aggressivem Imponiergehabe gegenüber den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bedachten.

Meine gute Bekanntschaft mit Flüchtlingen aus Syrien, dem Irak und Ägypten, die als Christen ihre Heimat verlassen mussten, weil sie von einer islamisch geprägten Mehrheitsgesellschaft benachteiligt (erste Welle) oder von islamistischen Terrorgruppen mit dem Tode bedroht wurden (zweite Welle), hat meinen Blick auf den Islam noch einmal beeinflusst, das kann ich nicht abstreiten. Wenn mich Menschen, die alles aufgegeben haben, teilweise gut laufende Fabriken zurückließen, eindringlich davor warnen, die Gefahr, die durch den Islam drohe, bloß nicht zu unterschätzen, dann kann ich das nur teilweise unter „biographische Vorprägung“ abbuchen. Ich muss mich fragen, ob ich, ob wir, diese Gefahr tatsächlich unterschätzen. Und wie genau sie aussieht, die Gefahr.

Es gibt – weit jenseits von Demonstrationszügen mit diffusen Botschaften – meiner Ansicht nach nur zwei Wege der Auseinandersetzung mit dem Islam und der Gefahr, die von ihm ausgeht: Zum einen die möglichst vollständige Information über systematische und historische Fakten. Das ist immer der Anfang. Darauf folgt die Zuschreibung der Historie zum System, also die Beantwortung der Frage, was von dem, das im Zuge der Etablierung und Ausbreitung des Islam aufgetreten ist bzw. auftritt, ist so eng mit der Glaubenslehre des Koran verbunden, dass es auch weiterhin dort auftreten wird, wo Islamisierung stattfindet. Dazu gehört der Aufweis eines konkreten kausalen Zusammenhangs in der Argumentation für eine bestimmte Form von Glaubensvermittlung und den Umgang mit Andersdenkenden, nicht nur die Möglichkeit, einen solchen philologisch zu konstruieren. Zum anderen den Dialog mit denjenigen Muslimen, die diesen wirklich wollen und die innerhalb der islamischen Theologie (die sich phasenverschoben ebenso weiterentwickelt wie die christliche) nach Wegen für eine Interpretation des Koran suchen, die ein friedliches Miteinander ermöglicht. Dass etwa eine Trennung von „geistlich“ und „weltlich“ im Islam grundsätzlich möglich ist (ein wichtiger Aspekt der politischen Entwicklung hin zum modernen Staat) zeigt das Beispiel Indonesien, das größte islamische Land, in dem der Islam demographisch dominiert, jedoch nicht Staatsreligion ist. Die christliche Minderheit in Indonesien kann sich demzufolge verhältnismäßig(!) sicher fühlen; im Open Doors-Weltverfolgungsindex 2014 liegt das Land, in dem 220 Millionen Moslems leben, nur auf Platz 47.

Zurück nach Deutschland, zurück nach Berlin. Eine interessante Erfahrung in Sachen „Man muss selbst beim Islam ab und zu differenzieren“ konnte ich vor Jahren im Zusammenhang mit „Pro Reli“ machen. Mit einigen Berliner Moschee-Gemeinden klappte die Zusammenarbeit diesbezüglich sehr gut. Sie unterstützten „Pro Reli“, wollten – wie die Katholische Kirche und die CDU – einen Religionsunterricht an Berliner Schulen, der einen festen Platz im regulären Curriculum bekommt und nicht in den Nachmittag verdrängt wird oder gar überhaupt nicht mehr an Schulen stattfinden kann. Anderen Berliner Moschee-Gemeinden schien gerade das sehr recht zu sein: die staatlicherseits erzwungene Verlagerung des Religionsunterrichts in die Gemeinden. Vom Senat verordnete Segregation, Parallelgesellschaft von oben – was will man mehr!

Der für mich entscheidende Punkt, „Pegida“ abzulehnen, liegt in der destruktiven Stoßrichtung der Botschaft, in der negativen Grundhaltung – selbst gegenüber dem, das man zu „retten“ vorgibt. Man ist gegen Islamisierung – aber ist man für eine Re-Christianisierung? Was tut man denn, um die „jüdisch-christlich-abendländischen“ Grundlagen unserer Kultur zu „retten“? Wäre hier nicht erst einmal eine Rückbesinnung auf eben jene Grundlagen nötig? Und würde man dabei nicht feststellen, dass die jüdisch-christliche Anthropologie und die christlich-humanistische Ethik des Abendlandes einen anderen Umgang mit dem Fremden (dem Migranten, dem Journalisten, dem Moslem) fordert als diesem mit Skepsis oder gar Verachtung zu begegnen? Wer von denen, die heute Abend auf die Straße gehen, setzt sich denn im positiven Modus für die „Rettung des Abendlandes“ ein? Ich will Niemandem zu nahe treten, doch ich kann mir nicht helfen: Dass gerade in Dresden, einer Stadt mit nur sehr wenig Christen und noch viel weniger Juden, so viele Menschen seit knapp drei Monaten auf „jüdisch-christlich“ schwören, macht die ganze Sache schon sehr verdächtig. Aber das Recht, auf die Straße zu gehen, das haben sie, die „Pegidas“. Denn das Recht, auf die Straße zu gehen, hat auch derjenige, der eigentlich gar nicht weiß, wofür. Das auszuhalten, gehört zur demokratischen Kultur. Und damit zur Rettung des Abendlandes.

(Josef Bordat)

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