Von Rolltreppen und Rosenkränzen

12. Mai 2011


Det is Bälin!

Donnerstag, 12. Mai 2011, 6:26 Uhr, Berlin-Schöneberg. Auf dem Weg zum Flughafen Schönefeld muss ich an der Yorckstraße von der S- in die U-Bahn umsteigen. Noch etwas schläfrig denke ich darüber nach, was ich wohl heute Nachmittag in Jobo72’s notieren könnte. Denn: Ein Tag ohne Bloggen ist ein verlorener Tag. Konfuzius. Oder so.

Da ich mit einer ansonsten ereignisarmen, ungefähr einstündigen Fahrt zum Flughafen rechne, nehme ich meinen Rosenkranz in die Hand, um irgendwann auf der U7-Strecke nach Rudow in das meditative Gebet einzusteigen, das ich sehr schätze, eben weil es meditativ ist. Manchmal bekomme ich in dieser meditativen Stimmung Ideen. Nicht immer gute, aber Ideen. Der Gedanke an den noch nicht geschriebenen Artikel weitet sich nämlich allmählich aus. In solchen Situationen sind Ideen sachdienlich.

Ich betrete die Rolltreppe in Richtung U-Bahn. Da schickte mir Gott einen Engel. Mal wieder, denn das ist so seine Art. Der Engel hat diesmal die Gestalt eines Mannes im mittleren Alter mit sonst unscheinbarem Äußeren.

„Hej, Du Arsch! Betest Rosenkranz, wa?!“ Nach dieser Feststellung folgen einige Charakterisierungen meiner Person, die ich hier nicht wiederholen kann, ohne ernstlich eine Blogsperre für Menschen unter 18 (oder 80) zu riskieren. Dabei wären die Tiernamen und die weiteren Erläuterungen zu meiner kognitiven Konstitution nebst imaginiertem Auszug aus dem Polizeiregister gar nicht nötig gewesen, denn bereits beim Stichwort „Rosenkranz“ fühle ich mich persönlich angesprochen und drehe mich zur Seite um. Auf der gegenüberliegenden Rolltreppe aufwärts zur Berliner Luft steht er, Bierflasche in der einen, Kippe in der anderen Hand. Engel scheren sich nicht groß um das BVG-Rauchverbot. „Ja, jenau! Du! Dat kann do‘ ni‘ wa‘ sein! Arschloch!“

Die Gegenläufigkeit der Rolltreppen treibt uns rasch auseinander (manchmal liefert das Leben die zur Situation passende Symbolik frei Haus!). Bevor ich zurückschreien kann („Kann nüscht machen! Liebe Gottes is‘ zu jroß! Muss ick einfach beten! Nüscht für unjut, Meester!“) oder der Engel meinen Fazenda-Ring entdeckt und mir von ihm – seiner bisherigen Logik in Sachen „Praktische Rationalität“ folgend – ein noch deutlicheres Urteil droht, war er auch schon wieder meiner Rufreichweite entschwunden. Kopfschüttelnd.

Welch ein Hoffnungsschimmer am frühen Morgen! Der Engel hat – es schlug halb sieben – „meinen Tag gemacht“! Welche Strahlkraft doch ein Rosenkranz besitzt, wenn er noch auf gut acht Meter Luftlinie zum Ärgernis wird! Welch Esprit sich binnen drei Sekunden aus einem zeitgenössischen Geist zu manifestieren vermag! Der Rosenkranz ist – das offenbart mir der Engel – nicht nur als Halsschmuck für exzentrische Fußballprofis ein Begriff, nein, es ist auch bekannt – sogar mitten in Berlin! –, dass man ihn betet! Und: Ich habe – wie ich gerade feststelle – meinen Tagesbericht! So ist unser Gott!

Jetzt fehlt nur noch die passende Kategorie. „Dinge, die wahr sein müssen, weil man sie sich nicht ausdenken kann – selbst ich nicht“? „Be Berlin. Die Freundlichkeitsoffensive“? Für „Christenverfolgung“ hätte die Bierflasche in meine Richtung fliegen müssen. Leider habe ich nicht die Kategorie „Der tägliche Wahnsinn“.

Im Flugzeug bete ich meinen Rosenkranz. Meditativ, beruhigend, inspirierend. Doch hier gibt es keine Rolltreppen. Und die lächelnden Engel versuchen lediglich, den überteuerten Kaffee zu verkaufen. Irgendwie schade.

(Josef Bordat)

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