Von Tätern und Opfern

31. Januar 2012


Es mag vielleicht noch einsehbar sein, dass es für einige Menschen zu kompliziert ist, von Christenverfolgung zu sprechen, wenn Christen verfolgt werden. Die Wirkrichtung der Gewalt allerdings umzukehren und die Ursache des Übels auch in „christlichen Aggressionen gegen den Islam“ zu sehen, ist Resultat einer Wahrnehmungsstörung mit Tendenz zur Verblendung.

Im Publik-Forum geht es – erfreulicherweise – auch mal um das Thema Christenverfolgung. Dabei bietet das nach Selbstauskunft „kritische, christliche, unabhängige“ Magazin eine ganz eigene, ja, eigenartige Sicht der Dinge. Nicht nur, dass so getan wird, als spiele Religion nur eine untergeordnete Rolle, wenn islamistische Terroristen wie die „Boko Haram-Gruppe“ mit der „Reinigung“ Nigerias droht und dabei ausschließlich Christen meint, es wird auch suggeriert, die von Open Doors (und anderen Organisationen) genannte Zahl von 100 Millionen verfolgter Christen sei „alarmistisch“ hoch (ohne allerdings zu sagen, warum bzw. ohne andere, validere Zahlen zu nennen). Schließlich klingt auch noch an, als gäbe es eine Spielart der Christenverfolgung, der man durchaus wohlwollend begegnen könne, dann nämlich, wenn sie sich gegen „christliche Fundamentalisten“ richtet.

Ich hätte nicht gedacht, dass die nach der Ermordung zweier Schülerinnen einer Bibelschule, die sich in einem sozial-diakonischen Praktikum im Jemen befanden, gleich munter feixenden Internet-Kommentatoren, die ihre Freude über den Tod der „Fundamentalistinnen“ kaum bändigen konnten, einst so einen prominente Paten bekommen sollten wie das Publik-Forum. Der Grund dafür, die Morde damals in bestimmten Kreisen wohlwollend abzunicken, lag in der Unterstellung, die beiden Mädchen hätten nicht helfen, sondern missionieren wollen (dass das nicht stimmt, wurde seitens der Angehörigen betont, dass es letztlich zusammengehört, erschließt sich nicht allen Menschen auf Anhieb). So, als sei dadurch die Sachlage eine völlig andere: Der Mord an zwei deutschen Krankenschwestern ist ein Verbrechen, der Mord an zwei deutschen „Missionarinnen“ eine … Tja: Was? Jedenfalls konnte man es „irgendwie“ verstehen. Damals. Man war regelrecht beruhigt. „Ach, so – Missionarinnen! Na, dann!“ Jetzt: Tu quoque, Publik-Forum?

Offenbar. Denn mit einer solchen Darstellung der Christenverfolgung, wie ich sie im Publik-Forum fand, wird nicht nur eines der größten humanitären Probleme der Gegenwart unerträglich verharmlost, nein, es geschieht eine geradezu zynische Verzerrung der Lage: Täter werden zu Opfern und Opfer zu Tätern. Tenor: Es sind die Christen selbst, die Hass säen. Und dann Gewalt ernten. „Tödliche Saat“, so ist der Artikel folgerichtig überschrieben. In diesem ist dann von „christlichen Aggressionen gegen den Islam“ die Rede, um daraufhin zu sagen, was das sein soll: Mission. Mission ist also nicht etwa ein Menschenrecht, wie es die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verbrieft (Artikel 18: „Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder seine Weltanschauung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.“), sondern eine „Aggression“ – freilich nur, soweit sie von Christen betrieben wird.

Doch nicht das Bekenntnis ist das Problem, sondern die Unterdrückung des Bekenntnisses. Nicht der Mut, den eigenen Glauben zu leben, ist das Problem, sondern die Feigheit derer, die dieser (neuen?) Herausforderung mit Gewalt begegnen. Nicht die Verleugnung dessen, was einem Menschen im Gewissen als Wahrheit aufleuchtet, sollte man erwarten, sondern Toleranz desjenigen, der für sich etwas anderes als Wahrheit erkannt hat. Von keinem Menschen sollte man verlangen, dass er über das schweigt, was ihn im Innersten bewegt. Auch nicht von einem Christen.

Man mag sich dabei durchaus über den Stil der „Bekehrungsfeldzüge“[sic!] des im Artikel namentlich erwähnten „Evangelisten“ Reinhard Bonnke streiten, nicht aber über sein Recht darauf. Und auch nicht darüber, dass die gewaltsame Reaktion auf friedliche Mission das eigentliche Problem ist, nicht die Mission selbst. Kritik verdient der, der ein Recht wegnimmt, nicht der, der es in Anspruch nimmt. Zu kritisieren sind diejenigen, die Artikel 18 AEMR mit Füßen treten, nicht diejenigen, die den in Artikel 18 AEMR beschriebenen Sachverhalt realisieren.

Ferner ist es sicher richtig, dass der „Konflikt“ in Nigeria kein ausschließlich religiös motivierter ist. Kein „Konflikt“ ist monokausal. Doch es gibt einen Hauptgrund und der besteht allem Anschein nach darin, dass eine Menschengruppe ihre religiösen Ansichten politisch durchsetzen und juridisch festlegen will. Insoweit ist der Hauptgrund des „Konflikts“ die (machtpolitisch missbrauchte) Religion. Es gibt die Religion (Islam) und es gibt den politisch-ideologischen Missbrauch der Religion (Islamismus). Das muss man schon auseinanderhalten. Gleichzeitig sollte man nicht so tun, als habe die Religion kaum Einfluss auf den „Konflikt“.

„Konflikt“ – das steht deswegen bei mir in Anführungszeichen, weil dazu immer zwei gehören. Ich sehe hier eine einseitige Aggression islamistischer Terroristen gegen Christen, die in einer falschen Neutralität der Medien einem vermeintlichen „Konflikt“ zugeschrieben wird. Ich habe das mal an einem Fallbeispiel zu Jos (2010) analysiert. Man könnte vielleicht von einem „Scharia-Konflikt“ sprechen (wie „Wikipedia“ das tut), aber auch das setzte voraus, dass es einen nennenswerten Gegner gibt. Den sehe ich nicht. Jedenfalls nicht auf christlicher Seite. Es ist vielmehr eine Aggression gegen Christen, die sich nichts zu schulden haben kommen lassen, außer zu existieren und ihre Religion zu leben. Zu dieser gehört selbstverständlich auch die friedliche Mission. Wenn das nicht möglich ist, ist das Menschenrecht auf Religionsfreiheit zu streichen, weil es wertlos ist, so wertlos wie eine Meinungsfreiheit ohne das Recht die freie Meinung auch zu äußern und zu verbreiten. Eine Religion nur haben, nicht aber leben zu dürfen, ist kein Recht, sondern eine Selbstverständlichkeit, die nicht erwähnt zu werden braucht.

Dass Christen daraus, dass sie öffentlich von ihrem Glauben sprechen, oft genug geradezu ein Strick gedreht wird, finde ich höchst bedenklich. Ich nehme den Hinweis auf die Missionstätigkeit der Christen in Afrika zu Kenntnis, kann ihn aber nicht als Grund für Terror und Gewalt akzeptieren. Als „Erklärung“ scheint er mir sehr dürftig, als „Rechtfertigung“ völlig falsch. Dass Leute wie Grill („Die Zeit“) unter dem Applaus von „Wikipedia“ eine „Leute, ihr erzählt denen von Jesus, ihr werdet danach weggebombt – ja, was habt ihr denn erwartet?!“-„Argumentation“ aufziehen, die in ihrer entlastenden Wirkung von Teilen der Öffentlichkeit dankbar aufgegriffen wird, stört mich seit langem.

Dass auch das Publik-Forum nun mit diesem „Selber Schuld!-Argument“ kokettiert, ist sehr enttäuschend. Also: Bonnke missioniert („Bekehrungsfeldzug“[sic!]) und die arme Bevölkerung weiß sich nicht anders zu helfen als mit Bombenterror? Das ist es? Das ist die ganze Geschichte? Das zynische „Selber Schuld!-Argument“ wird damit, so falsch es auch ist (historisch und hinsichtlich der Rechtsgüterabwägung) zumindest in abgeschwächter Form (als Postulat der „Mitverantwortlichkeit“) „plötzlich“(?) salonfähig. Es erinnert fatal an das „Sie hat es ja auch provoziert – mit ihrem Minirock!“-Argument in der Verteidigungslinie schmieriger Vergewaltiger-Anwälte. Oder daran, dass mit der Änderung von Artikel 16 GG die Linie in der Asylpolitik Deutschlands verschärft wurde, nachdem Asylanten Anfang der 1990er Jahre zunehmend rechtsextremistischer Gewalt ausgesetzt waren. „Was sind die auch einfach so da und provozieren uns?!“ – Ich frage mich stattdessen: Was ist das für ein Denken?! Dass sich diese absurde Linie nun bis ins u.a. „christliche“ Publik-Forum durchziehen lässt, erschüttert mich.

Man findet die fragwürdigsten Kontextualisierungen der Gewalt gegen Christen in der Welt, deren Opfer erstaunlicherweise nur ein Merkmal teilen: das Christ-Sein im nicht-christlichen Umfeld, sei es in Nordkorea, in Indonesien oder in Nigeria. Bloß – und das ist jetzt meine These – um das Narrativ der „bösen Christenheit“ nicht zu gefährden, mit dem sich der Säkularismus seit 1789 selbst die Weihe gibt. Dass es, das Narrativ, ohnehin nicht taugt, muss sonst akribisch nachgewiesen werden und verlangt historische Kenntnisse, die über „Gute Revolution, böse Kirche“ hinausgehen und weiter als bis 1789 zurückreichen. Jetzt aber ist es durch die Gegenwart unmittelbar gefährdet. Das ist schlecht. Für das Narrativ. Noch schlechter scheint mir allerdings, die Augen vor der Realität zu verschließen.

(Josef Bordat)

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