Mutiges Maß

13. Dezember 2013


Die Berliner Zeitung und die „Kirchen-Umfrage“

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, in der Adventszeit über ungeschickte Diktionen in Presseberichten hinwegzusehen. Ein Artikel in der Berliner Zeitung lässt mich in Sachen temporärer Ignoranz einen Nachmittag lang pausieren. Unter dem Titel „Wie halten Sie es mit der Verhütung?“ geht es in dem Artikel um die „Kirchen-Umfrage“. Gemeint ist, soviel sei verraten, die Umfrage zum Familienbegriff der katholischen Laien, die in Vorbereitung auf die außerordentliche Bischofssynode 2014 durchgeführt wird. Familie. Dabei geht es auch um Beziehungen zwischen Menschen. Dabei geht es auch um Sexualität. Dabei wiederum geht es auch um Sex. Und dabei könnte auch die Frage der Verhütung eine Rolle spielen. Also: Wie halten Sie es mit der Verhütung? ist die denkbar geeignetste Synthese, wenn es um die Eruierung katholischer Familienkonzeptionen geht.

Ob die „550 Rückmeldungen“ angesichts von 330.000 Katholiken im Erzbistum Berlin von „großem Interesse“ an der Befragung zeugen, wie die Berliner Zeitung meint, ist dagegen schon eher fraglich. Zugleich rügt sie, dass „nur wenige Gemeinden [..] ihren Mitgliedern tatsächlich Zettel mit den Fragen in die Hand [drückten]“, was freilich im Zeitalter des Internet auch nicht zwingend nötig ist, um zur Beteiligung anzuregen, obgleich die elektronische Form der Informationsverbreitung, sowie es halt um Kirche geht, umgehend den üblen Geruch von Mangelhaftigkeit annimmt: Einige Gläubige hätten tatsächlich „nur über die Internetseite des Bistums“ (Hervorhebung J.B.) von der Umfrage erfahren. „Viele Gläubige“ sogar überhaupt nicht. Dass die Ursache vielleicht darin liegen könnte, dass „viele Gläubige“ ihre Gemeinde seit Jahren nicht mehr besucht haben und von daher auch nicht das Publikandum hören oder Aushänge lesen, kommt der Berliner Zeitung offenbar nicht in den Sinn – es passt einfach viel besser zu den üblichen Reflexen, bei „Kirche“ eine verfehlte Kommunikationspolitik anzunehmen. Hätte des Erzbistum Berlin 330.000 Fragebögen in Papierform verschickt, stünde an dieser Stelle wohl irgendwas von „Ressourcenverschwendung“, hätten die Gemeinden die 330.000 Fragebögen in Papierform dann an die Gläubigen verteilt, wäre das was gewesen? Richtig, der „Versuch emotionaler Nötigung“, ein „gewisser Zwang, dem sich niemand entziehen soll“, eine „von oben angeordnete und von willfährigen Zombie-Pfaffen kritiklos durchgeführte Aushorchaktion“. So ist sie eben, die Kirche.

Immerhin zeigte sich laut einer Pressemitteilung des Erzbistums Berlin Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki von der 0,17-Prozent-Resonanz „beeindruckt“, was allerdings vornehmlich qualitative Gründe haben dürfte. Zitiert wird Kardinal Woelki von der Berliner Zeitung mit den Worten: „Es berührt mich, weil in manchen Antworten auch ganze Lebensgeschichten erzählt werden. Man kann in vielen Texten erkennen, dass die Fragen den Menschen wirklich am Herzen liegen.“ Daran schließt die Berliner Zeitung nahtlos an: „Ob die Katholiken ihrer Kirche jetzt mal ordentlich die Meinung über eine altertümliche Sexualmoral gesagt haben, die nur noch entfernt etwas mit der Lebenswirklichkeit vieler Mitglieder zu tun hat, wie bereits gerüchteweise zu hören war, erfährt man allerdings von offizieller Seite vorerst nicht. In einem Brief hat der Vatikan vor einigen Tagen darum gebeten, die Ergebnisse erstmal geheim zu halten.“

Ja, auch das ist natürlich typisch Kirche! Nicht nur verfügt sie über eine „altertümliche Sexualmoral“ („altertümlich“ ist die Steigerung von „mittelalterlich“, denn schließlich ist das Altertum gefühlt noch weiter weg von 2013 als das Mittelalter – was wiederum nichts über die Sexualmoral im historischen Vergleich aussagt, aber die Berliner Zeitung kann zurecht hoffen, dass kaum jemand, der die Berliner Zeitung liest, die Geschichte des Altertums im Hinblick auf Sexualmoral kennt), nicht nur ist man ständig auf Gerüchte angewiesen, wenn man etwas von ihr erfahren will, weil die „offizielle Kirche“ schweigt, nein, sie, die Kirche, erdreistet sich zudem, die Lebensgeschichten und Herzensangelegenheiten ihrer Mitglieder „erstmal geheim zu halten“ (Hervorhebung J.B.) und nicht gleich im Sinne vollständiger Transparenz ungefiltert der nicht-kirchlichen Öffentlichkeit zum Fraß vorzuwerfen, wie das die Berliner Zeitung dem Anschein nach gerne hätte. Sie, die Berliner Zeitung, erkennt zwar die Brisanz der Daten („Die Fragen gehen weit in persönliche Details.“), aber was soll’s! Denn es geht bei der „Geheimniskrämerei“ ja auch gar nicht um Diskretion angesichts „persönlicher Details“ oder gar um die sorgfältige Auswertung des Rohmaterials und das Aggregieren von Daten zu belastbaren Aussagen, nein, es geht um „Angst vor der eigenen Courage“. Das zumindest sieht sich die Berliner Zeitung angesichts der allgemeinen Unklarheit zu mutmaßen gezwungen: „Wer fragt, der kriegt auch Antwort. Manchmal fällt die allerdings nicht so aus, wie erwünscht. Ob das der Grund für die Geheimniskrämerei ist, lässt sich an dieser Stelle allerdings nicht klären. Und so bleibt nur die Mutmaßungen[sic!], dass vielleicht die Angst vor der eigenen Courage dahinter steckt.“ Also: Wer nichts weiß, darf das vermuten, was das derzeit schlechtestmögliche Licht auf die besprochene Sache wirft. Zur Journalistenpflicht wird die Erlaubnis dann, wenn die besprochene Sache „Kirche“ heißt.

Wer „Kirche“, „Lebensgeschichten“, „Geheimniskrämerei“ und „Angst vor der eigenen Courage“ so verbindet, wie in dem Artikel der Berliner Zeitung geschehen, macht kein Geheimnis daraus, dass es ihm wenig Angst macht, eine große Portion Courage zur Ahnungslosigkeit zu zeigen, etwa hinsichtlich des Problems, wie man am besten mit den Lebensgeschichten von Menschen umgeht. Oder mit der Kirche. Was, Berliner Zeitung, bleibt mir anderes zu mutmaßen übrig?

(Josef Bordat)

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