Demut und Selbstliebe

3. August 2011


Wo bleibt angesichts der Demut, die von uns Christen in der Nachfolge verlangt wird, eigentlich die Selbstliebe, die im Liebesgebot enthalten ist („…wie dich selbst“)? Was soll das vor dem Hintergrund dieser Selbstliebe mit dem Knien in der Kirche? Diese Fragen stellte neulich eine Facebook-Freundin und stieß damit im Rahmen dieser sozialen Kommunität eine rege Diskussion an.

Zunächst mal: Gute Fragen! Ich will mal eine kurze Antwort versuchen, aus gegebenem Anlass, denn im heutigen Tagesevangelium tritt auch eine große Demut zu Tage, in einer Form, die in Richtung entwürdigender Selbstaufgabe zu gehen scheint. Dass für die Demütige genau darin das Heil besteht, ist der Clou der Perikope, doch das ist eine andere Geschichte.

Zunächst: Das Gegenteil von Demut ist Stolz, Arroganz, Überheblichkeit, Selbstüberschätzung. All das hat mit Selbstliebe nur wenig zu tun. Sich selbst zu lieben bedeutet nämlich auch, die eigenen Grenzen zu erkennen. Das ist wichtig, allein schon, um sich vor physischer, psychischer oder sozialer Selbstschädigung zu bewahren. Daher ist Demut kein Widerspruch zur Selbstliebe.

Etwas „Höheres“ anzuerkennen ist zudem keine Schande, auch nicht für den modernen Menschen. Es bricht ihm keinen Zacken aus der Krone, wenn er sich Gott gegenüber klein gibt (schon deshalb nicht, weil er vor Gott klein ist). Das ist dann auch der Sinn des Kniens als Gestus der Demut: „Hier bin ich. Und ich bin mir meiner Schwäche bewusst, meiner Kleinheit angesichts Deiner Größe. Aber ich bin da, denn ich darf darauf vertrauen, dass der Größenunterschied von Deiner Liebe überwunden wird. Das hoffe, das glaube ich.“ Das ist die Sprache des Kniefalls. Der Gedanke vom kleinen, sündigen Ich, das der Vergebung bedarf und daher in Demut vor den barmherzigen Gott tritt, ist kein Ausdruck von kein Masochismus, sondern von Realismus. Und Selbsterkenntnis ist auch eine Form der Selbstliebe.

Selbstliebe bedeutet zudem, die Grenzenlosigkeit der Liebe Gottes zu erkennen, die uns erfüllen kann, wenn wir sie nur anzunehmen bereit sind. In Demut lässt sie sich aufsaugen und weitergeben – als Nächstenliebe. Daher ist es kein Widerspruch zur Selbstliebe, sich dem liebenden Gott zu unterwerfen und Seine Liebe demütig anzunehmen. Es zeigt sich hier ganz deutlich, dass Gottes-. Nächsten- und Selbstliebe nicht zu trennen sind, sondern eine Einheit bilden, die von Demut – auch in der rituellen Ausdrucksform des Kniens im Rahmen der katholischen Liturgie – gefestigt wird. Niemand sollte sich scheuen, vor Gott auf die Knie zu fallen, aus Angst, das Liebesgebot („…wie dich selbst“) zu hintergehen oder aus Sorge, sich zu klein zu machen. Die Sorge ist unbegründet, denn die wahre Größe eines Menschen ist proportional zur Größe dessen, vor dem er sich klein macht.

(Josef Bordat)

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