Differenzen

16. Januar 2015


Einige Klarstellungen zum Wochenende

Wir leben in unübersichtlichen Zeiten. Das ist vor Jahren schon Jürgen Habermas aufgefallen. Wem es bisher noch nicht aufgefallen ist, der merkt es vielleicht jetzt, in Zeiten von Terror und „Pegida“. Der merkt es aber auch am Diskurs um Freiheit und Respekt. Trotz der Komplexität der Dinge halten einige Menschen daran fest, dass das Leben ein Nullsummenspiel ist, dass sich also Pro und Contra gegeneinander aufheben, dass der Feind meines Freundes und der Freund meines Feindes mein Feind sind – und der Feind meines Feindes mein Freund. Irgendwie haben wir kulturpsychologisch den Kalten Krieg noch nicht ganz überwunden.

Im Zuge einer komplexen Fragestellung, in der es etwa darum geht, zwischen Islam und Islamismus zu differenzieren, ohne naiv den Zusammenhang zwischen Islam und Islamismus zu verkennen, geht es um das Austarieren von Erfahrungen und Erkenntnissen, um zu zeigen, unter welchen sozialen, ökonomischen, psychologischen und exegetischen Rahmenbedingungen aus Islam Islamismus wird. Wer sich darum bemüht, bekommt Druck von den Extrema – unter dem Applaus der Mitte. Es ist manchmal zum Verzweifeln.

Zur Sache.

Kritik und Beleidigung

Der Papst nahm auf seinem Flug Richtung Manila Fragen von Journalisten entgegen und selbstverständlich war auch der Terror ein Thema – der Terror gegen Journalisten (Nigeria war – so wie ich das sehe – kein Thema). Er forderte Respekt vor dem Glauben – auch vor anderem Glauben als dem katholischen – und zeigte sich insbesondere verärgert darüber, dass die „Mutter“ Kirche oft ins Visier des Spotts und der Verachtung gerate. Dann, so Franziskus, müsse man sich auch wehren dürfen. Er benutzt ein Bild, ein Gleichnis: die Faust, die fliegt, wenn die eigene Mutter beleidigt wird.

Ich bin sicher, dass selbst der böswilligste Berichterstattung erkennt, dass es hier um eine Metapher geht. Dass die Medien daraus ein päpstliches „Faustrecht“ machen und den Heiligen Vater in die Nähe der gewaltbereiten Fanatiker rücken (Motive, die von den stets sprungbereiten Kommentatoren dankbar aufgegriffen werden) ist mithin gleich wieder ein Beispiel für den Hang der Gegenwartskultur, alles in den Dreck zu ziehen, was irgendwie mit Kirche zu tun hat.

Aber – Halt: Es ist Satire im Diskurs über Satire, etwas bunte Praxis im Grau theoretischer Abhandlungen. Das geht soweit in Ordnung. Allgemein gilt: Satire steht als besondere stilistische Form der Meinungsäußerung zwischen Kritik und Beleidigung. Beides mag verletzen, weh tun. Doch während ersteres hingenommen werden muss, ja, in der Kraft der Unterscheidung sogar wichtig und hilfreich sein kann, um den schmerzlichen Prozess der Selbstreflexion einzuleiten (gerade auch für die Kirche als Institution), kann eine Meinung, die dem Menschen einzeln oder in Gruppen (dazu gehören auch Glaubensgemeinschaften) die Würde nimmt, nicht hingenommen werden. Es handelt sich dann nicht mehr um eine „Meinung“, sondern um als Meinung verpackte Hetze.

Schuld und Verantwortung

Was heißt das nun? Verbote? Nein: Nachdenken! Zum Beispiel über die Konsequenzen meines Handelns. Denn warum sollten Kulturschaffende bzw. Menschen, die sich dafür halten, grundsätzlich vom Prozess der Selbstreflexion ausgeschlossen sein? Freilich geschieht die satirische Äußerung – zumal, wenn „Religion“ ihr Gegenstand ist – aus einer Position der Überlegenheit heraus, die Zweifel an der Relevanz seriengefertigter Zuspitzungen von vorne herein ausschließt. Wo kämen wir auch hin?! Das ins Wanken geratene Gefüge kennt immer noch oben und unten. Und wer sich als legitimer Nachfolger Kants versteht (der sich mindestens jedes zweite Mal im Grabe umdreht, wenn irgendein pubertierender Großkopf sich stolz „Sapere aude“ zum Forumsnamen kürt), sollte auch irritationslos über Dinge herziehen dürfen, die er nicht annähernd verstanden hat. Wer seinen Kommentar mit „Ich bin Atheist“ beginnt, steht definitionsgemäß oben und kann nachfolgend von dort herab über die Anderen urteilen, die Anderen dort, dort unten. Wer es dann noch schafft, ein „wissenschaftlich erwiesen“ irgendwo unterzubringen, ist gegen Kritik immunisiert. Zumal gegen Kritik von unten.

Aber ich komme etwas vom Thema ab. Schuld und Verantwortung. In der Debatte, welche Verantwortung Zeichner eines Magazins haben, das sich selbst als „unverantwortlich“ bezeichnet, muss man sehr tief bohren, um frisches Wasser zu finden. Kommentare, die mich in den letzten Tagen erreichten, zwangen mich dazu. Mir wurde nämlich einerseits vorgehalten, den Zeichnern die Schuld für Übergriffe auf Christen zu geben (und damit die Abschaffung der Meinungsfreiheit zu fordern und – weil ich katholisch bin – auch Scheiterhaufen), andererseits wurde mir vorgeworfen, die Zeichner aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Beide Einschätzungen basieren auf der Aussage: „Dass der Zeichner nicht verantwortlich für diese Gräuel ist – verantwortlich für eine Tat ist immer nur der jeweilige Täter –, muss [..] klar sein“. Beide Einschätzungen sind falsch. Weder will ich dem Zeichner die Schuld geben und ihn in seinem Schaffen einschränken, noch sage ich, dass sie als Karikaturisten, als Satiriker tun sollen, was sie wollen, auch, wenn sie dies dürfen.

Noch einmal:

1. Sie, die Zeichner, sind nicht verantwortlich. Verantwortung braucht eine konkrete, unmittelbare, kausale Zuschreibung der Handlung zum Handelnden, wenn der Begriff nicht völlig verwässert werden soll. Nicht nur als Rechtsbegriff, auch als ethischer Begriff braucht er dies. Natürlich sind wir alle „verantwortlich“ für den Frieden in der Welt, für den Hunger in Zentralafrika, für den Klimawandel. Aber was bedeutet das? Was folgt daraus? Nichts! Denn ein derartiger Verantwortungsbegriff ist bis zur Untauglichkeit überdehnt. Es kann also nicht um Schuldzuweisungen gehen (und darauf läuft die konkrete, unmittelbare, kausale Zuschreibung von Verantwortung moralisch und rechtlich hinaus).

2. Sie, die Zeichner, sollten nicht verantwortungslos sein. Verbote und Repression sind nicht das geeignete Mittel, um Satire zu einer guten zu machen. Es kann nur um freiwillige, einsichtsvolle Selbstzurücknahme gehen, nicht um gesetzliche Einschnitte in Freiheitsrechte. Wer in den Medien tätig ist, hat weitgehende Gestaltungsfreiheit. Das ist gut so. Diesem Recht korrespondiert aber die Pflicht, über die Konsequenzen des eigenen Tuns nachzudenken. Man muss dabei zu der Erkenntnis gelangen, dass man nicht immer alles tun wollen sollte, was nicht verboten werden kann oder darf. Das ist die Differenz von Legalität und Moralität. Wenn ich also, wie hier, über den Zusammenhang von Karikaturen und Gewalt spreche, dann meine ich nicht: „Es darf solche Karikaturen nicht mehr geben!“, sondern: „Dieser Aspekt gehört berücksichtigt, wenn es weiterhin solche Karikaturen geben soll!“

Soweit zu den methodischen und ethischen Fragen. Schließlich noch kurz etwas Inhaltliches.

Islam und Islamismus

Wen sollen Mohammed-Karikaturen treffen? Die Islamisten! Und wen treffen sie? Nur die Islamisten? Nein, alle Muslime. Arabische Satire, die gezielt gegen die Islamisten und deren politischen Machtanspruch gerichtet ist, scheint mir daher viel überzeugender als die westliche, die alle Muslime trifft, weil sie auf religiöse Motive des Islam abhebt und nicht in der Lage zu sein scheint, die politischen Motive des Islamismus davon zu isolieren. Arabische Satire ist erfahrungs- und kenntnisreich genug, um genau dies zu tun – und trifft, wie ich finde, umso besser diejenigen, die es zu treffen gilt. Sie sorgt zudem dafür, dass Muslime mitlachen können, die – obwohl Angehörige des Islam – Leidtragende des Islamismus sind. Sie erfahren damit jene Befreiung durch Humor, die Satire dem Schwachen zugestehen sollte, indem sie den Starken attackiert (und nicht etwa alle oder gar den, der ohnehin schon am Boden liegt). Vielleicht könnte der Okzident an dieser Stelle etwas vom Orient lernen. Zur Rettung des Abendlandes vor einem Mangel an Unterscheidungsfähigkeit.

(Josef Bordat)

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