Christenverfolgung. Neue Studie arbeitet mit fragwürdigen Kategorien

4. Juli 2017


Nachdem die Arbeit von Open Doors, einer Hilfsorganisation, die sich nicht nur um verfolgte Christen kümmert, sondern auch in jedem Januar den „Weltverfolgungsindex“ aufstellt, in die Kritik geriet (unter anderem wurde der Vorwurf laut, Open Doors stelle das Problem aus Eigeninteresse größer dar, als es ist), hat sich nicht nur die Katholische Kirche in Deutschland eine eigene Untersuchung vorgenommen (die Ergebnisse stehen noch aus), sondern auch das renommierte PEW Research Centre. Unter dem Titel „Global Restrictions on Religion Rise Modestly in 2015, Reversing Downward Trend“ legte das Institut im Juni 2017 die Ergebnisse vor.

Die rund 60 Seiten liefern allerhand Daten zur differenzierten Auseinandersetzung mit dem Thema. Betrachtet man jedoch die (öffentlichkeitswirksame) Zusammenfassung der Resultate, so fällt einem gleich auf, dass die Forscher eine eigenartige Zuordnung vornehmen. Um zu zeigen, dass Christen – relativ gesehen – gar nicht so sehr verfolgt werden, wird eine ziemlich sinnfreie Angabe gemacht: der Anteil derer, die einer bestimmten Religion angehören und in Staaten leben, in denen ihre Religion verfolgt wird, an der Grundgesamtheit aller Angehörigen dieser Religion (in der Studie irgendwo auf Seite 24 versteckt). In dieser Aufstellung landen Christen nur auf Platz sechs; weit vorn: Juden, Hindus und Muslime.

Das ist eine an Desinformation grenzende Darstellung. Denn: Weder ist es so, dass ein Angehöriger einer Religion X in einem Staat, in dem Angehörige von X verfolgt werden, selber von Verfolgung betroffen sein muss, noch ist „Staat“ eine geeignete Kategorie zur Erfassung von Verfolgungsintensität. Die bizarren Prozentwerte (99 Prozent bei Juden und Hindus, 97 Prozent bei Muslimen) machen Eindruck, entsprechen hinsichtlich der Aussagekraft aber in etwa der Wahrheit, dass 100 Prozent aller Menschen in Staaten leben, in denen Menschen aufgrund von Naturkatastrophen oder Raubmord sterben.

Beispiel: Indien. Dort werden in einigen Regionen Muslime verfolgt. Sicher. Aber Muslime, die aus diesen Regionen wegziehen oder in anderen Regionen leben, immer noch zu den (potentiell) Verfolgten zu zählen, ist bestenfalls ungenau, denn es treibt die relative Verfolgung des Islam künstlich in die Höhe. Zumal in muslimisch geprägten Regionen Indiens im Grenzgebiet zu Pakistan auch Hindus verfolgt werden. So ergibt sich dann andererseits der 99-Prozent-Anteil für (potentiell) verfolgte Hindus allein schon deshalb, weil 95 Prozent der Hindus in Indien leben. Über 90 Prozent der in Indien lebenden Hindus wiederum bleibt zeitlebens von Verfolgung unbehelligt. Was also will uns der Forscher mit derlei Daten sagen?

Ebenso überraschend: 99 Prozent aller Juden leben in Staaten, in denen ihnen Verfolgung droht. Dabei leben vielleicht 20 Prozent der Juden in den USA. Wenn nun in Kalifornien oder Texas irgendein Spinner einen Anschlag auf eine jüdische Einrichtung verübt, leben die Juden in Brooklyn dann potentiell in einer Verfolgungssituation? So etwas suggeriert die Studie. Und: Die Mehrheit der Juden lebt in Israel. Werden sie dort verfolgt? Und wenn man zu der Einschätzung kommt, dass sie dort als Juden tatsächlich nicht in Sicherheit leben, liegt das dann am Staat Israel oder doch eher an Aggressionen, die von außen gesteuert werden? Es ist jedenfalls grotesk, die Verfolgung von Juden in Israel unter der Maßgabe zu betrachten, es spiele für die Verfolgung eher eine Rolle, dass sie in Israel leben, als der Umstand, wo genau sie in Israel leben – an der Grenze zum Gazastreifen oder in einer Villensiedlung in Tel Aviv – und wer genau für die Verfolgung verantwortlich ist.

Am verblüffendsten ist jedoch die Angabe, 97 Prozent aller Muslime lebten in Staaten, in denen (auch) Muslime verfolgt werden. Der Großteil der Muslime lebt in der Arabischen Welt und in Indonesien. Aus der Tatsache, dass dort Islamisten ihren Terror auch auf Muslime richten, schon, weil unter den Soldaten und Polizisten, die sich ihnen in den Weg stellen, auch Muslime sind, eine potentielle Verfolgungslage für praktisch alle Muslime abzuleiten, ist mehr als fragwürdig. Aber es sorgt dafür, dass Christen mit „nur“ 78 Prozent abgeschlagen auf Platz sechs der merkwürdigen Relativverfolgungsskala landen. Nur Buddhisten (72 Prozent) leben sicherer.

Es drängt sich der Verdacht auf, dass auch die PEW-Studie tendentiös ist. Neigt Open Doors zu Übersensibität in Sachen Christenverfolgung, so scheint PEW zu Verharmlosung zu neigen. Man darf auf die Studie der Deutschen Bischofskonferenz gespannt sein.

(Josef Bordat)

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