Selbst schuld?

31. Juli 2014


Unter diesem Titel schreibt Schwester Barbara in Bethanien bloggt einen dankenswerter Weise sehr umsichtigen und dennoch engagierten Text über die Verfolgung von Christen im Nahen und Mittleren Osten sowie über die Rezeption der Berichte darüber, die hierzulande immer noch allzu oft mit einem kühlen Schulterzucken registriert werden, schließlich memoriert das kollektive Gedächtnis des Mitteleuropäers: „Christen waren ja auch ganz schlimm.“ Also: „Selbst schuld!“ Gegen diese sehr, sehr einfache Sicht der Dinge wehrt sich Schwester Barbara. Und womit? Mit Recht!

Danke für Ihren lesenswerten Beitrag, Schwester Barbara, der mir aus der Seele spricht! Auch ich muss öfter erkennen, dass die „Selbst schuld-These“ sehr weit verbreitet ist, vor allem in den Kommentarbereichen, aber auch in einigen PresseArtikeln, von deren Autoren ich mehr erwarte. Recherche zum Beispiel. Auch Sachkenntnis ist nicht immer von Nachteil.

Noch eine historische Bemerkung: Die erfolgten Korrekturen an den Fehlentwicklungen innerhalb der Kirche (die es ohne jeden Zweifel gab und immer noch gibt und weiterhin geben wird, solange Menschen in ihr wirken), schreibt Schwester Barbara der Aufklärung zu („Diese Entwicklung verdanken wir der Aufklärung.“). Das hört man immer wieder, allein: Es stimmt so nicht. Kritik kam – lange bevor sie von außen auf die Kirche einwirkte – von innen. Die Kirche blieb nämlich aus der Erkenntnis einer Differenz von Christentum und Christenheit stets im Inneren kritikfähig. In allen Epochen gab es zu allen kritikwürdigen Entwicklungen innerhalb der Kirche und hinsichtlich ihrer teils schlecht gespielten sozialen wie politischen Rolle Opponenten, gerade auch zu den historischen Fehlentwicklungen, die Schwester Barbara nennt.

Stichwort Zwangstaufen: Als Karl der Große um 800 die Sachsen unterworfen hatte, erließ er in der Capitulatio de partibus Saxoniae Vorschriften zur Todesstrafe für alle, die sich nicht taufen lassen wollten. Der theologischen Rechtmäßigkeit der Alternative „Taufe oder Tod“ hat sein Hoftheologe Alkuin entschieden widersprochen. Lange vor der Aufklärung. Stichwort Lateinamerika: Als die „Katholischen Könige“ mit päpstlichem Mandat Amerika eroberten und die autochthone Bevölkerung von den Conquistadores im Rahmen einer gewaltsamen Kolonialisation „nebenbei“ christianisiert wurde – Mission war die Bedingung, die der Papst für die Übertragung der Gebiete an Spanien in seiner Bulle Inter cetera stellte (1493) –, stieß dies bei den Missionaren auf massiven Widerspruch, für den vor allem der Dominikaner Bartolomé de Las Casas steht. Auch noch vor der Aufklärung.

Man könnte auch noch Aspekte ergänzen, die Schwester Barbara nicht nennt. Stichwort Hexen: Der evangelische Theologe Richard Schröder schreibt in seinem Buch Abschaffung der Religion? Wissenschaftlicher Fanatismus und die Folgen (Rezension), wie der Hexenwahn in Europa sein Ende fand: „Durch die Aufklärung, sagt man. Das stimmt so nicht. Er kam nämlich schon im 17. Jahrhundert weithin zum Erliegen.“ Es gab nämlich massiven Widerstand: „Die Gegner waren Theologen und Juristen, die sich als Christen verstanden.“ Kritische Christen wie Friedrich Spee.

Umgekehrt ist es gerade so, dass die Aufklärung vieles von dem, was man ihr heute als für die Menschheit segensreich zuschreibt, vom Christentum und von Christen, die dieses tatsächlich lebten, übernommen hat. Stichwort Sklaverei: Zwischen 1500 und 1800 wurden fast 11 Millionen Menschen aus Afrika nach Amerika und Europa verschleppt. Auch von Christen. Zugleich unter dem Protest von Christen, von prominenten Christen wie Papst Urban VIII. und einfachen Missionaren wie Las Casas und Petrus Claver. Die Aufklärung schließlich, so zitiert der Kirchenhistoriker Arnold Angenendt in seinem Werk Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert (Rezension), Egon Flaig, entwickelte „keine eigenen Positionen, sondern übernahm allmählich die Positionen der Quäker und Evangelikalen“. Das wundert einen nur, wenn man nicht weiß, dass Freiheit ein christliches Prinzip ist, und eben keines, das im 18. Jahrhundert aus dem Zauberhut der Aufklärung gezogen worden wäre. Das wiederum ändert nichts an der Tatsache, dass Freiheit nicht immer ein Prinzip christlicher Institutionen, i.e. der Kirche war. Wir erinnern uns: Christentum und Christenheit.

Das dazu. Ansonsten teile ich mit Schwester Barbara die Hoffnung darauf, dass sich „liberale Kräfte“ im Islam „durchsetzen werden“. Entscheidend ist, dass diese Entwicklung aus dem Islam selbst hervorgeht. Zugegeben: Eine vage Hoffnung in diesen Tagen.

(Josef Bordat)

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