Ach, Wikipedia!

30. Juni 2015


„Sei sachlich und freundlich, greife niemanden persönlich an, gehe von guten Absichten aus“ – das rätst Du, Wikipedia, allen, die es wagen, bei Dir mitzudiskutieren. Wie schön.

Ein Diskussionsteilnehmer auf der Diskussionsseite zum Artikel Humanistischer Verband Deutschlands gibt unter Hinweis auf zwei Texte in meinem Blog die Empfehlung (und zwar sachlich und zumindest nicht unfreundlich), die Frage der Finanzierung des Humanistischen Verband Deutschlands im betreffenden Artikel zu beantworten.

Das schockiert mich ein wenig, denn das bedeutet ja, dass über diese Frage bisher im Zusammenhang mit dem Artikel noch nie nachgedacht wurde. Da braucht es also zwei Blog-Artikel, damit diese zentrale Thematik überhaupt verhandelt wird. Und das bei einem Artikel, der seit Anfang 2005 existiert. Also schon zehn Jahre lang. Bei Dir, Wikipedia, eine kleine Ewigkeit.

Doch: Halt! Braucht es natürlich gar nicht, die beiden Blog-Artikel, denn nur Minuten später erfährt der Hinweisgeber: „Die Milchmädchenrechnung eines vollkommen irrelevanten Bloggers deutet erst mal auf rein gar nichts hin. So lange sich keine ordentlichen Quellen über die Finanzierung finden lassen, gibt es halt nichts zu berichten.“

So sachlich, freundlich und vom Glauben an die guten Absichten des Anderen geprägt diese Reaktion auch sein mag (Klarheit ist ja nach Ortega y Gasset auch eine Form von Höflichkeit), so ganz zufrieden bin ich – um ganz ehrlich zu sein – nicht mit dieser Art der Diskussionführung, ich, der ich ja auch irgendwie mitgemeint bin.

Denn irgendwie beschleicht mich das Gefühl, bei Dir, Wikipedia, nicht wirklich landen zu können, auch nicht mit Fakten, die der, um den es geht, selbst veröffentlicht hat. „Die Milchmädchenrechnung eines vollkommen irrelevanten Bloggers“ – das sitzt. Wer wollte jetzt noch wagen, etwas zu entgegnen? Der vollkommen irrelevante Blogger vielleicht, der in seiner Milchmädchenrechnung Auskünfte des Humanistischen Verband Deutschlands zitiert (falls der Humanistische Verband Deutschlands im Hinblick auf einen Artikel über den Humanistischen Verband Deutschlands überhaupt relevant ist)?

Also, Wikipedia – soll ich mich zu Wort melden? Die Frage lautet vielmehr: Wieviel Zeit und Energie soll ich vernünftigerweise in eine Diskussion stecken, in der
– gleich im ersten Satz meine Person angegriffen wird (um die es hier aber nun wirklich nicht geht),
– meine (nicht ganz mühelose) Recherchearbeit diskreditiert wird, ohne zu sagen, was an ihr falsch ist bzw. zu falschen Ergebnissen geführt hat bzw. welche Zahlenangaben nicht stimmen (Habe ich mich irgendwo verrechnet? Das kommt vor. Wo genau?),
– Quellen, auf die ich mich beziehe und hinweise, eingefordert werden (Was kann ich mehr tun, als Zahlen aus Geschäfts- und Rechenschaftsberichten des Humanistischen Verband Deutschlands zu nennen, wenn es um Fragen der Finanzierung des Humanistischen Verband Deutschlands geht?).

Und es schließen sich einige Fragen an: Ist das die Art und Weise, in der über offene Punkte diskutiert werden soll (und die Finanzierung des Humanistischen Verband Deutschlands ist ein Desiderat des Artikels – ganz ohne jeden Zweifel)? Und, dass diskutiert werden soll – diese gute Absicht unterstelle ich gerne. Aber: „Irrelevant! Basta.“? Läuft das immer so? Ist das wirklich ein basisdemokratisches Verständnis von Wissenskultur? Und dieses schreibst Du Dir, Wikipedia, groß auf die Fahne, wenn ich richtig informiert bin. Spiegelt sich in der Diskussion jene vielgepriesene Niedrigschwelligkeit, die auch irrelevante Blogger berücksichtigt, solange sie relevante Fakten zitieren? Und: Soll ich – nachdem ich gelernt habe, dass die Wahrung von Neutralität ein Ding der Unmöglichkeit ist – nun auch noch Dein Bemühen um Neutralität unter Etikettenschwindel verbuchen?

Sag Du’s mir, Wikipedia! Aber nur, wenn die Antwort nicht vollkommen irrelevant ist. Denn davon hab ich ja schon mehr als genug zu Hause.

(Josef Bordat)

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