Zu Beginn: Das Ende

29. November 2016


Sofort nach den Tagen der großen Not wird sich die Sonne verfinstern und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. Danach wird das Zeichen des Menschensohnes am Himmel erscheinen; dann werden alle Völker der Erde jammern und klagen und sie werden den Menschensohn mit großer Macht und Herrlichkeit auf den Wolken des Himmels kommen sehen. Er wird seine Engel unter lautem Posaunenschall aussenden und sie werden die von ihm Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenführen, von einem Ende des Himmels bis zum andern. Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum! Sobald seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. Genauso sollt ihr erkennen, wenn ihr das alles seht, dass das Ende vor der Tür steht. Amen, ich sage euch: Diese Generation wird nicht vergehen, bis das alles eintrifft. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen. Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater. (Matthäus 24, 29-36)

Denn wie es in den Tagen des Noach war, so wird es bei der Ankunft des Menschensohnes sein. Wie die Menschen in den Tagen vor der Flut aßen und tranken und heirateten, bis zu dem Tag, an dem Noach in die Arche ging, und nichts ahnten, bis die Flut hereinbrach und alle wegraffte, so wird es auch bei der Ankunft des Menschensohnes sein. Dann wird von zwei Männern, die auf dem Feld arbeiten, einer mitgenommen und einer zurückgelassen. Und von zwei Frauen, die mit derselben Mühle mahlen, wird eine mitgenommen und eine zurückgelassen. Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt. Bedenkt: Wenn der Herr des Hauses wüsste, zu welcher Stunde in der Nacht der Dieb kommt, würde er wach bleiben und nicht zulassen, dass man in sein Haus einbricht. Darum haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet. (Matthäus 24, 37-44)

Es stand dem Priester am Ersten Adventssonntag frei, ob er die Langfassung (Mt 24, 29-44) des Evangeliums liest oder eine Kurzfassung (Mt 24, 37-44). Sicher ist der Erste Adventssonntag, zugleich der Beginn eines neuen Kirchenjahres, gespickt mit besonderen Ritualen, wie der Einbindung des Adventskranzes in die Liturgie, vielleicht ja auch mit besonderen musikalischen Elementen gestaltet und voll mit Ankündigungen für die nächsten Tage und Wochen in den Vermeldungen. Da wird manch einer die Kurzfassung genommen haben. Das ist schade, verkürzt sich die Botschaft dann doch auf Noahs Erfahrung und den wachsamen Hausherrn als Beispiel tugendhaften Christseins in Erwartung der Wiederkunft des Herrn. Die plastische Rede vom Kommen des Menschensohns und der berühmte Vers, der von einer ewigen Geltungskraft des Wortes spricht, werden dann nicht gelesen.

Nehmen wir also die Langfassung und schauen, wie sich der Text entwickelt. Zunächst ist da die Schilderung des Parusie-Ereignisses (Mt 24, 29-31), ein bombastisches Szenario, das an Endzeitschilderungen nach Hollywood-Art erinnert. Zu Beginn des neuen Kirchenjahres steht gleichsam die Erinnerung an das Ende aller Zeiten, auf das die Kirche in ihrer irdischen Pilgerschaft zugeht. Zwei Dinge fallen dabei auf: zum einen die „Macht und Herrlichkeit“ Christi, zum anderen der sich daraus ergebende Universalismus seiner Wiederkunft. Die Engel, die Ihn begleiten, „werden die von ihm Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenführen“, also aus allen Völkern und Nationen. Der Menschensohn kommt für alle Menschen wieder. Aber nicht für jeden ist diese Wiederkunft ein Heilsereignis. Es ist hier von „Auserwählten“ die Rede. Doch keine Elite nach menschlichem Maßstab ist damit gemeint, sondern jene „Schafe“, deren Charakteristika Jesus kurz darauf definiert (Mt 25, 31-46).

Dann werden Himmel und Erde vergehen. Sie werden nicht mehr gebraucht. Was bleibt ist die Liebe, von der die „Schafe“ umfangen werden – und das höllische Gefühl der Unfähigkeit zur Liebe, das den „Böcken“ droht (Mt 25, 31-46). Die Liebe, die Jesus Christus in die Welt gebracht hat, als Er kam. Nun, da Er wiederkommt, bleibt sie als einzige übrig, fest verbunden mit dem Logos, durch den sie Gestalt angenommen und sich ganz konkret ausgedrückt hat – vor allem am Kreuz. Aber auch in den vielen Reden des Predigers Jesus, in den Gleichnissen, mit denen Er die Menschen Barmherzigkeit lehrte, in den Gebeten, die Er sprach. So kann Matthäus das endzeitliche Geschehen aus Sicht des Herrn zusammenfassen: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“ Die Liebe Gottes, durch Worte und Taten vermittelt, wird nicht vergehen. Alles andere hat ein Ende.

Das steht fest. Die genaueren Umstände bleiben offen. Das Ende aller irdischen Dinge kommt unvermittelt und niemand weiß, wann genau; nicht einmal Jesus will sich auf einen Termin festlegen. Er fordert stattdessen Wachsamkeit. Wenn wir stets bereit sind, vor Gott Rechenschaft abzulegen, dann kann es uns auch egal sein, wann genau wir dies tun müssen. Zur Verdeutlichung wird Jesus historisch, wodurch Seine Rede den Zuhörern wohl nachvollziehbarer wurde: So wie Noah, dessen Geschichte bestens bekannt war, urplötzlich mit dem Ende der Welt, wie er sie kannte, konfrontiert wurde, so unvermittelt wird auch das Ende für die „Generation Jesus“ kommen – für die Menschen, die zur Zeit von Christi irdischem Wirken lebten und für alle, die sich danach in den Dienst der Nachfolge stellten, in Kontinuität und Kommunion. Das nämlich ist „diese Generation“, von der Jesus spricht.

Jesus macht in der drastischen Polarität (die/der eine wird mitgenommen, die/der andere nicht) eine Andeutung dessen, was er später näher begründen wird: Das Endgericht teilt die Menschen ein, nicht nach Rassen oder Religionen, nicht nach Einkommen oder Sozialprestige, sondern nach dem, was sie für einen der geringsten Schwestern und Brüder Jesu getan haben – oder eben nicht getan haben (Mt 25, 31-46).

Seid bereit für den Herrn, so, wie ein Hausbesitzer sich auf einen Dieb einstellen würde, wenn er denn wüsste, wann genau dieser kommt. Das ist zum Abschluss ein eigenartiges Bild, schließlich kommt der Dieb ja ungelegen und bringt Leid über den Hausbesitzer. Und der Menschensohn? Der kommt eben auch höchst ungelegen, wenn wir es uns in unserer „Bockigkeit“ gerade so richtig schön bequem gemacht haben! Wenn wir also spirituell schlafen, mitten in der dunklen Nacht. Dann ist die Überraschung eine negative.

Wachsamkeit erfordert dabei nicht 24 Stunden Aktionismus, sieben Tage die Woche. Wachsamkeit bedeutet eine beständige Disposition zum Schaf-Sein. Das ist am ehesten gewährleistet, wenn man ein Schaf ist, denn dann braucht man sich das Schaffell gar nicht mehr umständlich anzuziehen, wenn man denn meint, das sei jetzt mal dran, um so zu tun, als sei man ein Schaf, in der Adventszeit etwa, zu Weihnachten. Jesus will caritas, nicht charity, will aus Teilzeit-Schafen echte Schafe machen, Menschen ohne Kompromisse, hundertprozentig wachsam für Gott und füreinander. So wie der Hirte.

(Josef Bordat)

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