Und dennoch ist es falsch

11. Januar 2017


Unbeschreiblich grausam und unfassbar brutal. Ein Rassist ohne Reue, ein Mörder mit dem denkbar primitivsten Motiv: Hass. Ein Mensch, der böse denkt, spricht, schreibt und handelt. All das trifft zu auf Dylann Roof, der am 17. Juni 2015 neun Menschen erschoss. In einer Kirche, beim Bibelstudium. Er tat dies, weil diese Menschen eine andere Hautfarbe hatten als er selbst. Und dennoch ist es falsch, diesen Menschen von Staats wegen zu töten. Ich halte daher das Todesurteil gegen ihn, das er selbst indirekt gefordert hatte, für falsch. Ich bin gegen die Todesstrafe, selbst in einem solchen Fall von gröbster und größter menschlicher Verfehlung.

Der Hauptgrund, gegen die Todesstrafe zu sein, ist für mich die Unveräußerlichkeit der Menschenwürde und des elementaren Lebensrechts, eine Unveräußerlichkeit, die aus der Geschöpflichkeit des Menschen resultiert. Gott schenkt uns Leben, über das wir Menschen nicht verfügen dürfen. Wir können uns dieses Geschenk nur in formaler Weise als „Lebensrecht“ zu, niemals aber in Gestalt eines „Tötungsrechts“ absprechen. Dass auch Dylann Roof von Gott gewollt ist, kann ich nicht verstehen. Dafür ist meine Vernunft nicht groß, meine Sicht nicht weit genug. Gerade deshalb bin ich dafür, dass Roof – hinter Schloss und Riegel – weiterlebt: Vielleicht wird irgendwann so etwas wie ein Sinn erkennbar.

Ein anderes Element der Begründung betrifft die Irreversibilität des Urteils: Einmal vollstreckt, kann es nicht mehr wirksam zurückgenommen werden, wenn sich herausstellt, dass es irrtümlich gefällt wurde. Das ist im Fall Roof wohl nicht so, doch in der Vergangenheit gab es bereits Fälle, in denen sich nach der Hinrichtung die Unschuld oder Minderschuld des Verurteilten zeigte. Bei einer Haftstrafe gibt es immerhin die Möglichkeit der Entlassung und der Entschädigung für die Zeit des unrechtmäßigen Freiheitsentzugs.

Auch das Argument der größeren Abschreckung scheint nicht wirklich stichhaltig, wenn man Kriminalitätsstatistiken vergleicht (und wenn man betrachtet, dass Roof offenbar lieber stirbt als ins Gefängnis zu gehen). Mir scheint, es geht bei der Todesstrafe am Ende um einen Aspekt des Strafens, der in einem zivilisatorisch entwickelten Strafrecht, gerade auch vor einem christlichen Hintergrund, keine Rolle mehr spielen sollte – Rache bzw. etwas abgeschächt: Vergeltung.

Dass der Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) die Todesstrafe nicht explizit ausschließt, bleibt für mich – soweit Selbstverteidigung und Nothilfe beim gefangenen Straftäter ja nicht als Gründe für eine Tötung in Frage kommen – daher einigermaßen unverständlich. In Nr. 2266 heißt es: „Der Schutz des Gemeinwohls der Gesellschaft erfordert, daß der Angreifer außerstande gesetzt wird zu schaden. Aus diesem Grund hat die überlieferte Lehre der Kirche die Rechtmäßigkeit des Rechtes und der Pflicht der gesetzmäßigen öffentlichen Gewalt anerkannt, der Schwere des Verbrechens angemessene Strafen zu verhängen, ohne in schwerwiegendsten Fällen die Todesstrafe auszuschließen. Aus analogen Gründen haben die Verantwortungsträger das Recht, diejenigen, die das Gemeinwesen, für das sie verantwortlich sind, angreifen, mit Waffengewalt abzuwehren.“

Die Analogie von innerer und äußerer Sicherheit kann mit Blick auf die Praxis nicht überzeugen, die Rechtsfiguren, die im bellum iustum-Topos noch herausragen, Selbstverteidigung und Nothilfe, verfangen im Verhältnis von Justiz und Straftäter einfach nicht. Das betont auch Papst Johannes Paul II. in der Enzyklika Evangelium Vitae (1995), wenn er sagt, es müssten, „um alle diese Ziele zu erreichen“, insbesondere der Schutz der Gesellschaft, „Ausmaß und Art der Strafe sorgfältig abgeschätzt und festgelegt werden“. Sie „dürfen, außer in schwerwiegendsten Fällen, das heißt wenn der Schutz der Gesellschaft nicht anders möglich sein sollte, nicht bis zum Äußersten, nämlich der Verhängung der Todesstrafe gegen den Schuldigen, gehen“ (Nr. 56).

Ich denke, dass „der Schutz der Gesellschaft“ immer auch „anders möglich sein sollte“ als durch Beseitigung des Verbrechers. Fälle, in denen das nicht möglich ist, sind auch nach Meinung Johannes Paul II. in Evangelium Vitae „heutzutage infolge der immer angepaßteren Organisation des Strafwesens schon sehr selten oder praktisch überhaupt nicht mehr gegeben“ (Nr. 56). Und wenn ich dazu KKK, Nr. 2267 lese („Soweit unblutige Mittel hinreichen, um das Leben der Menschen gegen Angreifer zu verteidigen und die öffentliche Ordnung und die Sicherheit der Menschen zu schützen, hat sich die Autorität an diese Mittel zu halten, denn sie entsprechen besser den konkreten Bedingungen des Gemeinwohls und sind der Menschenwürde angemessener.“), dann wird mir klar, dass es sich bei der Todesstrafe aus katholischer Sicht um eine rein theoretische Option handelt, die in der Rechtspraxis der Gegenwart keine Rolle mehr spielen sollte.

Ich bin gegen die Todesstrafe. Auch im Fall Dylann Roof. Ich bin der Meinung, dass ein Staat so weit wie möglich „unblutige Mittel“ zum „Schutz der Gesellschaft“ anwenden sollte. Ich denke, dass ein demokratischer und wohlhabender Staat wie die USA in diesem Fall über andere Vollzugsmöglichkeiten verfügt. Fraglos ist Dylann Roof ein Mensch, der nicht nur am Menschen, sondern auch an Gott zweifeln lässt, vielleicht sogar verzweifeln. Dessen Tat zum Himmel schreit. Ein Mensch, der vielleicht den Tod verdient. Und dennoch ist es falsch, ihm diesen Dienst zu erweisen.

(Josef Bordat)

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