11 Fußballer, die man kennen sollte, auch, wenn man sich eigentlich mehr für Byzantinistik, die Poincaré-Vermutung und Origami interessiert – Teil 10 der Serie zur Fußball-Europameisterschaft in Frankreich

Es gibt nur wenige Fußballer, die auch jenseits des Stadions als „legendär“ gelten können. Einer von ihnen ist Reinhard „Stan“ Libuda. Den Beinamen erhielt er wegen seiner Position auf dem Spielfeld und wegen seiner Dribbelstärke in Anspielung auf den großen englischen Rechtsaußen Stanley Matthews. Libudas Kennzeichnen war aber eigentlich ein anderes: Mit dem Ball war er Weltklasse, ohne Ball hingegen stand er im Abseits.

Der begnadete Rechtaußen hat mit seiner Dribbelkunst das Ruhrgebiet in Gänze hinter sich gebracht. Libuda zählt nämlich zu den wenigen Spielern, die sowohl für den FC Schalke 04 als auch für Borussia Dortmund aktiv waren. Die längste Zeit spielte er für die Königsblauen, den größten Erfolg jedoch konnte Libuda mit dem BVB feiern: den Gewinn des Europapokals der Pokalsieger im Jahr 1966. Im Endspiel gegen den FC Liverpool erzielt Libuda das unvergessene Siegtor. Für Deutschland spielte Libuda u.a. bei der Weltmeisterschaft 1970. Auch im „Jahrhundertspiel“, dem Halbfinale gegen Italien (3:4 n.V.) kam er zum Einsatz.

Trotz seiner enormen Popularität hatte Libuda nach seiner 1976 beendeten Karriere kein leichtes Leben. Er schlug sich mit Anlernjobs durch. Reinhard Libuda erkrankte Anfang der 1990er an Kehlkopfkrebs. Er starb 1996 an einem Schlaganfall. Reinhard Libuda wurde 52 Jahre alt. Heute erinnert eine Straße an der Veltins-Arena in Gelsenkirchen an den auf dem Spielfeld mit fairen Mitteln kaum zu stoppenden Rechtsaußen: der „Stan-Libuda-Weg“.

Bekannt ist eine Anekdote aus den 1960er Jahren. Als der evangelikale Prediger Werner Heukelbach im Ruhrgebiet seine Veranstaltungen durch Plakate mit dem Slogan „An Jesus kommt keiner vorbei“ ankündigte, setzten Libuda-Fans darunter: „außer Stan Libuda“. „Keiner kommt an Gott vorbei – außer Stan Libuda“ ist auf Schalke seither ein geflügeltes Wort. Das Musical zum 100. Geburtstag des Kult-Vereins im Jahre 2004 heißt in Erinnerung an Libuda „nullvier – Keiner kommt an Gott vorbei“. Über sein bewegtes Leben gibt es zudem zahlreiche Abhandlungen. Und zwei Biographien in Buchform: Thilo Thielkes „An Gott kommt keiner vorbei. Das Leben des Reinhard ‚Stan‘ Libuda“ (2002) und Norbert Kozickis „Reinhard ‚Stan‘ Libuda – Eine Fußball-Biografie“ (2007).

Reinhard Libuda wäre der Rummel um seine Person wohl sehr suspekt. Er war ein ganz Ruhiger. Wer heute im Netz nach flotten Sprüchen von ihm sucht, findet nicht viel. Zudem galt er als äußert sensibel und litt während der WM 1970 in Mexiko unter Heimweh. „Hätte Libuda nur die physische Robustheit besessen, er wäre ein absoluter Weltstar geworden. So bleibt er ein bisweilen atemberaubender Fußballer, dem ein böses Schicksal so gut wie nichts für den Lebenskampf mit auf dem Weg gegeben hatte“, schrieb die Süddeutsche Zeitung in einem Nachwort. Doch selbst das böseste Schicksal lässt Niemanden tiefer fallen als in die Hand Gottes, und jeder Lebenskampf endet in der Geborgenheit des Barmherzigen, dort, wo jeder zu verweilen willkommen ist. Auch Stan Libuda.

(Josef Bordat)