Vom Nutzen des Glaubens

14. Februar 2014


Dass Menschen, die fest an eine Sache (oder Person) glauben, seelisch stabiler sind als Menschen, die diesen festen Glauben nicht haben, sollte nicht überraschen. Nun ist sogar wissenschaftlich erwiesen, dass der Mensch, dem „religiöse oder spirituelle Inhalte in seinem Leben wichtig sind“, seltener an einer Depression erkrankt – auch dann, wenn er genetisch vorbelastet ist. Die „Sinnstiftung durch den Glauben“, „stabilisierende religiöse Rituale“ und der „Wert sozialer Bindungen“ sind dafür verantwortlich. Wie gesagt: Nicht überraschend.

Überraschend ist hingegen, dass die vorgestern in der Online-Ausgabe der FAZ erschienene Kurzmeldung über eine einschlägige Studie der Columbia University (New York) ein kleines Kommentarfeuerwerk erzeugen kann – und das zur besten Olympia-Zeit. Es entstand binnen Stunden eine sehr rege Diskussion, die über weite Strecken auch durchaus sachlich geführt wird. Die dort gegen Religion im Allgemeinen vorgebrachte Kritik („Illusion“) ist jedoch weder neu noch relevant. Es ging ja in der Studie gerade nicht um die Wahrheit, sondern um den Nutzen des Glaubens in seiner Schutzfunktion als „Krücke“ der Seele, und dieser Nutzen ergibt sich eben nachweislich – zunächst mal auch unabhängig von der Wahrheit, die dann aber schnell zum Gegenstand der Auseinandersetzung wird.

Dagegen habe ich nichts, im Gegenteil: Ich finde es ohnehin immer etwas schade, wenn man Religion auf einen nachvollziehbaren Nutzwert zu reduzieren versucht, wo doch der Glaube – zumindest im Christentum – auf die Wahrheit ausgerichtet ist, nicht auf den Nutzen. Ein Christ ist Christ, auch wenn es mal nicht gut tut, Christ zu sein. Die Blutspur des Martyriums zeugt davon in eindrucksvoller Weise, gerade auch in unseren Tagen. Denn ein Christ glaubt an Gott, weil Gott Gott ist – wahrer Gott, nicht nützlicher Gott.

Aber dennoch frage ich mich: Wozu die Aufregung? Wozu die hektische Betriebsamkeit, mit der man sich gegenseitig zu versichern scheint, dass Religion doch nur „Illusion“ sei? Der diskursive Ebenenwechsel weicht damit dem Gegenstand der Studie aus, mit der ja nichts anderes behauptet wird als eine gesundheitsförderliche Schutzfunktion religiöser und spiritueller Lebensentwürfe. Dass die positive Wirkung des Glaubens kein Gottesbeweis ist, weil etwas, dass Nutzen stiftet, nicht zugleich wahr sein muss, dürfte doch klar sein, nicht zuletzt den Forschern.

Trotzdem mal nachgehakt an dieser Stelle: Was bedeutet das, wenn man sagt, dass das, was nützt, nicht wahr sein muss? Ist damit erwiesen, dass das, was nützt, in jedem Fall falsch ist? Wenn etwas einen Nutzen stiftet – meinetwegen auch in einem evolutionsbiologischen Sinne – dann könnte dies doch auch ein Hinweis darauf sein, dass die Ursache der Nutzenstiftung ihren Grund in der Wahrheit dessen findet, worauf sie sich richtet.

Der religiöse Glaube richtet sich auf Gott. Wenn nun der Glaube die Ursache des Nutzens ist, weniger oft an Depressionen zu erkranken, dann könnte der Grund dafür sein, dass der Glaube nicht nur auf etwas gerichtet ist, das Sinn stiftet, stabilisiert und bindet, sondern dazu gerade deswegen in der Lage ist, weil es wahr ist. Dass schließt nicht aus, dass sich Teile der Menschheit seit Jahrtausenden in nützlicher Weise selbst betrügen, aber ist das wirklich naheliegender als die Existenz Gottes anzunehmen und damit die Glaubenserfahrung von Menschen ernst zu nehmen? Bequemer ja, aber wirklich überzeugender?

Die zusätzlich vorgebrachte „Realitätsverweigerung“ des Glaubenden (gemeint ist eigentlich, dass religiöse Menschen selbst zum Depressivwerden zu dumm sind) greift als Argument nur dann, wenn die Welt tatsächlich so schlecht wäre, dass nur in der Depression eine vernünftige Antwort des Menschen läge. Man könnte diesen Eindruck bekommen. Doch gibt es auch das Schöne, das ein Mensch, der an Gott glaubt, vielleicht eher zu sehen bereit ist als ein Mensch, der nicht an Gott glaubt. Die Frage ist doch, welche Form der Kontingenzbewältigung tatsächlich die bessere ist: der lähmende Weltschmerz, den übrigens auch religiöse Menschen kennen, oder die Sammlung im Gebet, die Bündelung der Kräfte im Glauben, im Vertrauen darauf, dass es zwar auf den Menschen ankommt, aber nicht von ihm abhängt, nicht von ihm allein?

Das nur als Denkanstoß. Schließlich eine Erfahrung. Ich kenne viele fröhliche und ausgeglichene Christen. Ich kenne aber, als Christ, auch die Depression. Es wäre denn auch fatal, den Glauben der Christen allein an ihrer guten Stimmung festzumachen. Wer glaubt, kennt auch Zweifel. Glaubenszweifel sind eine ganz eigene Quelle von Traurigkeit im Leben des Christen. Davon kann sich niemand freisprechen. Ich bin jedenfalls an manchen Tagen sehr froh, als schwacher Mensch vom starken Gott eine Krücke gereicht zu bekommen, eine Schutzfunktion namens Glaube. In solchen existenziellen Momenten kommt es mir auf religionsphilosophische Spitzfindigkeiten nicht so sehr an wie auf den Trost und die Hoffnung, die ein Gebet, eine Eucharistiefeier oder ein seelsorgerisches Gespräch spenden kann.

(Josef Bordat)

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