Abtreibung. Argumentationsfiguren

24. September 2014


Es gibt verschiedene Argumentationsfiguren, die in keinem Gespräch über Abtreibung fehlen, auch nicht im Jubel über die Bestätigung der sehr liberalen Regelung in Spanien.

1. „Recht auf Abtreibung“

Eine Abtreibung ist die Tötung menschlichen Lebens. Das ist nun mal so. Das ist nichts, was sich christliche Fundamentalisten ausdenken, um die Welt zu gängeln, sondern das ist Biologie, 8. Klasse. Spätestens. Insoweit kann es kein „Recht auf Abtreibung“ geben, weil die Tötung menschlichen Lebens ein Unrecht ist. Immer. Was es geben kann, das ist ein straffreier Umgang mit der Tatsache, dass dieses Unrecht begangen wurde. Keine Strafe für X ist aber etwas ganz anderes als Rechtsanspruch auf X.

2. „Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihren Körper“

Diese Figur unterstellt für den Fall der Abtreibung, dass der Embryo Teil des Frauenkörpers ist. Das ist objektiv nicht der Fall. Auch um das einzusehen muss man nicht römisch-katholisch sein, sondern nur die Grundlagen der Genetik kennen. In Spanien wird nach der nun bestätigten Rechtslage eine Abtreibung bis zur 14. Schwangerschaftswoche ermöglicht. Ab der 21. Schwangerschaftswoche gelten Frühgeburten derzeit als überlebensfähig. Mit weiterem medizinisch-technischen Fortschritt wird sich die Frist weiter nach hinten verschieben lassen, so dass irgendwann der bizarre Fall eintreten könnte, dass das, was außerhalb des Körpers der Frau Mord oder Totschlag ist (und da gibt es dann keine zwei Meinungen mehr), innerhalb des Körpers der Frau ein Ausdruck ihrer Selbstbestimmung wäre. Schon heute gibt es dieses Phänomen bei Spätabtreibungen, wenn es nicht „gelingt“, den Fötus im Körper der Frau zu töten, dieser also lebend „zur Welt“ kommt, von da an juristisch als Frühchen angesehen und entsprechend medizinisch versorgt werden „muss“, um als zuständiger Arzt nicht einer unterlassenen Hilfeleistung bezichtigt werden zu können. Das zeigt doch, dass es bei einer Abtreibung um mehr geht als um den Frauenkörper.

3. „Entscheidungsfreiheit“

Diese Figur ist besonders interessant. Es wird so getan, als käme die Schwangerschaft schicksalhaft über die Frau, die gewissermaßen durch das Wirken puren Zufalls gezwungen ist, urplötzlich ein Kind zu bekommen, das sie nicht will. Bis auf wenige tragische Ausnahmen, die man auch besonders betrachten muss, ist die Sachlage ja doch ein wenig anders. Also: Selbstverständlich hat jede Frau das Recht zu entscheiden, ob sie ein Kind bekommen will oder nicht. Nur kommt es bei dieser Entscheidung eben ganz entscheidend auf den Zeitpunkt der Entscheidung an. Wenn die Frau bereits schwanger ist, kann sie eben nicht mehr entscheiden, ob sie das Kind bekommen will oder nicht, denn dann bekommt sie es ja bereits. Sie kann dann nur noch entscheiden, ob sie die Entwicklung des Kindes durch eine Abtreibung stoppen will oder nicht. Diese Entscheidung beinhaltet in dem Fall, dass sie sich für die Abtreibung entscheidet, die Tötung ihres Kindes in einer frühen Entwicklungsphase (s. Punkt 1). Dass man diese Entscheidung, die zu treffen kein allgemeines Recht werden kann, der Frau als Gewissensentscheidung zubilligt und damit das objektive Unrecht, das durch die Entscheidung geschieht, straffrei lässt, ist eine Möglichkeit, aber keine Selbstverständlichkeit. Dies wäre es nur, wenn es bei einer Abtreibung tatsächlich ausschließlich um die Frau ginge. Geht es aber nicht (s. Punkt 2).

4. „Religiöser Fundamentalismus“

Weist man auf die Punkte 1-3 hin, gilt man als christlicher oder religiöser Fundamentalist. Einfach so. Das ist nicht weiter begründungspflichtig, auch dann nicht, wenn man als Agnostiker für den Lebensschutz eintritt (soll vorkommen). Oder, wenn man juristisch argumentiert und mit der geltenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Würde des ungeborenen Menschen betont. Oder, wenn man darauf verweist, dass die wesentlichen Erkenntnisse zum Thema Schwangerschaft mit Relevanz für das Thema Abtreibung von der Biologie geliefert wurden, insbesondere von der Genetik. Ausgerechnet da, wo man sie mal gut gebrauchen kann, wird die Biologie, die Leitwissenschaft der Gegenwart, ganz hintan gestellt, während sie sonst alles erklären können soll. Sogar den religiösen Fundamentalismus.

5. „Moderne“ / „21. Jahrhundert“

Das Ganze wird dann oft garniert mit der Bemerkung, man sei ja doch modern und lebe im 21. Jahrhundert – und nicht im „Mittelalter“, wobei damit alles vor dem 21. Jahrhundert gemeint zu sein scheint. Umso erstaunlicher ist, dass man als moderner Mensch des 21. Jahrhunderts ganz offenkundig 1.) nicht zu wissen scheint, was eine Schwangerschaft ist und wie es dazu kommt, 2.) die Tötung menschlichen Lebens entweder vorrangig oder gar ausschließlich als Ausdruck von Freiheit versteht und sie damit a priori gegen jede Problematisierung immun macht und 3.) den Unterschied zwischen straflos und rechtmäßig nicht kennt.

Dafür – und für die Entscheidung der spanischen Regierung, die Regelungen zur Abtreibung nun doch so zu lassen, wie sie waren – fehlt mit jedes Verständnis. So als christlicher Fundamentalist.

(Josef Bordat)

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