Hassprediger?

16. Mai 2012


Eine Initiative namens Religionsfrei im Revier behauptet, Franz-Josef Overbeck, Bischof von Essen und Militärbischof der Deutschen Bundeswehr, habe „religionsfreie Menschen quasi zu Untermenschen“ gemacht und sei damit „in einer pluralistischen Gesellschaft“ nicht tragbar. Abgesehen davon, dass Overbeck als Bischof im Rahmen der Territorial- und Kategorialseelsorge zunächst für katholische Christen zuständig ist und weniger für eine „pluralistische Gesellschaft“, wird der doch sehr weitgehende, gerade auch in seiner historischen Anspielung („Untermenschen“) mit der Gleichung „Katholisch gleich Nazi“ kokettierende Vorwurf allein damit belegt, dass Overbeck gesagt habe: Ohne Religion und ohne gelebte Praxis von Religion gibt es kein Menschsein.

Statt sich jetzt zu fragen, wie das – aus der Sicht des Glaubens, aus dem heraus ein Bischof üblicherweise spricht – gemeint sein könnte und was das dann für „Religionsfreie“ bedeutet, wird der Vorwurf – der offensichtlich noch nicht ausreicht – dahingehend erweitert, dass behauptet wird, hier zeige sich „die gehässige Fratze der Ausgrenzung und Überheblichkeit“, mit der „sich ein hoher katholischer Würdenträger immer wieder gegen Demokratie, Menschenrechte und Menschenwürde stellt“. Demokratie, Menschenrechte und Menschenwürde. In dieser Reihenfolge.

Als religionswissenschaftlich (nicht mal dezidiert theologisch, schon gar nicht katholisch-theologisch) auch nur rudimentär beschlagener Mensch kann man über diesen Gedankengang nur staunen. Denn davon, dass sich Bischof Overbeck „gegen Demokratie, Menschenrechte und Menschenwürde stellt“, kann nicht die Rede sein. Er meint nicht, dass ein Mensch, der nicht religiös ist (etwa: der nicht in die Kirche geht), keine Würde hat, sondern dass sich – nach christlichem Verständnis – diese Würde einer Beziehung („religio“) zwischen Gott und Mensch verdankt, so dass ohne diese Beziehung und ihre Aufrechterhaltung („Praxis“) ein so verstandenes Menschsein, das auf der geschenkten Würde gründet, seine Basis verliert.

Diese Praxis ist natürlich eine kollektive, so dass damit nicht gemeint ist, der einzelne Mensch (Kant würde sagen: das empirische Subjekt) müsse über den praktizierten Ritus seine individuelle Würde, sein Menschsein jeden Tag neu verdienen (das kann er gar nicht!), sondern gemeint ist, dass der Mensch (bei Kant wäre dies das Transzendentalsubjekt) aus der Beziehung, der religio zu Gott sein Menschsein gewinnt und sich dies in konkreter Religiosität des empirischen Subjektes ausdrückt, ohne dass diese Religiosität Bedingung für jene religio wäre. Die Frage ist – und erst hier wird es spannend – wie der Fall läge, gäbe es kein einziges empirisches Subjekt mehr unter den sieben Milliarden Menschen, das eine religiöse Praxis ausübte – würde dann die Gott-Mensch-Beziehung als solche aufgelöst? Hat der Mensch dazu überhaupt die Möglichkeit? Das zu beantworten überlasse ich – schon aus Gründen der fortgeschrittenen Zeit – den Theologen.

Diese haben über die Jahrhunderte immer wieder den Zusammenhang von Menschenwürde und Geschöpflichkeit, von Menschsein und Glauben betont, über alle konfessionellen Grenzen hinweg. Alles „Hassprediger“? Protestantische Religionsphilosophen wie Friedrich Schleiermacher und ihre katholischen Kollegen (etwa Peter Wust) heben mit dem Menschenbild des homo religiosus darauf ab, dass die gelebte Gottesbeziehung die eigentliche Bestimmung des Menschen ist. Alles „Hassprediger“? Neuerdings wird das Konzept des homo religiosus zum Gegenstand von Genetik und Neurowissenschaft, ebenfalls mit dem Anspruch, Menschsein und Religiosität zusammenzuzurren, wie Michael Blume sicher viel genauer erklären kann. Auch er dann wohl – ein „Hassprediger“? Auch die reine Empirie vermag den Konnex von Menschsein und Religiosität nicht zu lösen, im Gegenteil. Die bislang in Sachen „Hasspredigt“ eher unverdächtigen Wikipedianer schreiben dazu im Artikel Mensch: „Religionen und religiöse Motive haben nahezu die gesamte bekannte Geschichte des Menschen begleitet.“ Das „nahezu“ kann man dabei getrost streichen. Es gibt sogar Anthropologen (etwa Julien Ries), die das Menschsein gerade mit dem prähistorischen Aufkommen von Religion und religiöser Praxis konstitutiv in Verbindung bringen, weil sie den Transzendenzgedanken als anthropogenen Faktor begreifen. Und, und, und. „Hassprediger“ am laufenden kulturwissenschaftlichen Meter.

Aber soweit brauchen wir gar nicht auszuholen, um eines in aller Deutlichkeit feststellen zu können: Bischof Franz-Josef Overbeck vertritt einen Grundsatz christlicher Anthropologie, der in jedem theologischen Handbuch zu finden ist, und spricht damit von einer Würde, die gerade durch die Geschöpflichkeit des Menschen und die Abbild-Beziehung nicht mehr auf bestimmte empirische Menschen in bestimmten historischen Situationen begrenzt werden kann, sondern die qua Menschsein immer schon da ist – was übrigens den Grund dafür gibt, dass die Kirche die einzige Institution ist, die sich ohne Einschränkung zur Würde und zum Leben jedes Menschen bekennt, von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod. Gerade sie schreibt – eingedenk der religio! – Menschsein auch dort zu, wo es alle anderen längst abgeschrieben haben. Dass sowohl das eine wie das andere „in einer pluralistischen Gesellschaft“ nicht mehr verstanden wird, kann man kaum einem Bischof anlasten, schon gar nicht Bischof Overbeck.

(Josef Bordat)

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