Schweigende Katholiken, widerständige Protestanten?

31. August 2015


Andreas Püttmann klärt über die unterschiedliche Rolle der Konfessionen in der Wendezeit 1989/90 auf. Im Ergebnis steht: Es war eher umgekehrt.

Die Frage, welche Rolle „die“ Kirche in den verschiedenen Phasen nicht-demokratischer Staatsform, die es in den letzten 150 Jahren auf deutschem Boden gab, welche Rolle „die“ Kirche also im Kaiserreich, im Nationalsozialismus und in der DDR spielte, muss konfessionell unterschiedlich beantwortet werden. Denn ein Blick in die Geschichte zeigt, dass der Protestantismus viel weniger Probleme hat, sich auf die Politik des Staates einzulassen, sei diese auch monarchistisch, faschistisch oder sozialistisch orientiert. Aufgrund seiner landeskirchlichen Organisationsstruktur weist er insgesamt weit mehr Berührungspunkte mit der Weltlichkeit auf, die ihn im Fall des Falles kompromitieren.

Der ultramontane, also auf Rom gerichtete Katholizismus hat demgegenüber viel größere Schwierigkeiten, sich nationalstaatlich vereinnahmen zu lassen. Ein „kaisertreues“, „deutsches“ oder „sozialistisches“ Christentum kann es mit der Katholischen Kirche nicht geben. Der Papst ist dem Katholiken immer wichtiger als Kaiser, Kanzler, Führer oder auch als der Staatsratsvorsitzende. Mit Teilen der evangelischen Kirche ließ sich da schon eher paktieren, wie die antikatholische Kulturpolitik Bismarcks, die „Deutschen Christen“ an der Seite Hitlers oder auch das protestantische Konzept einer „Kirche im Sozialismus“ zeigen. Die Katholische Kirche erwies sich in Monarchie und Diktatur als wesentlich sperriger.

Ironischerweise ist die Wahrnehmung gerade umgekehrt: Der Katholizismus gilt als Freund der Totalitarismen aller Couleur, weil er selbst ein totalitäres Organisationsprinzip hat und ohnehin „von gestern“ ist. Auf den Gedanken, dass das Gestern nur aus der heutigen Sicht „von gestern“ ist (alle Diktatoren des 20. Jahrhunderts wollten vor allem eines sein: modern – für ein neues Morgen) und dass den Katholizismus gerade seine Hierarchie und sein verbindliches Lehramt vor dem Einfluss der (anderen) Totalitarismen schützt, weil es dem Katholiken an der Basis Abgrenzungsmöglichkeiten verschafft, auf diesen Gedanken kommen viele Menschen nicht.

Dagegen ist der Protestantismus aufgrund seiner Geschichte weit anfälliger gegenüber der Rhetorik des Neuen und Modernen, ja, er konstitutiert sich gerade aus der Verpflichtung gegenüber dem Neuen und Modernen – unabhängig davon scheinbar, was das inhaltlich im einzelnen bedeutet. Es wundert nicht, dass die evangelischen Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime, etwa Dietrich Bonhoeffer, auch mit der Institution Landeskirche, ja, sogar mit dem Religionsbegriff ihre Mühe hatten, dass also auch schon lange vor der Gründung der „Deutschen Christen“ (1932) oftmals eine innere Abgrenzung zu einem für totalitäre Modernismen anfälligen Protestantismus stattgefunden hatte, ehe sich diese in den basisgemeindlichen Strukturen der Bekennenden Kirche sichtbar äußerte.

Dennoch: Wer schon „Protestantismus“ als sein religiöses Bekenntnis nennt, dem traut man Protest viel eher zu. Dagegen verblassen auch die Zahlen, etwa die, dass im KZ Dachau 109 evangelische Geistliche inhaftiert waren, und 2.579 katholische. Besonders in der Geschichte der DDR gilt die evangelische Kirche als die Kirche des Widerstands. Schließlich gingen nicht zuletzt die Montagsdemonstrationen in Leipzig aus den Friedensgebeten in der evangelischen Nikolaikirche hervor. Die Katholische Kirche hingegen habe die Wende verschlafen und sei erst danach aus der sicheren Stellung gekommen, um in der demokratischen Ordnung nach 1990 den Großteil der Posten zu besetzen. Das klingt maximal mies: Die einen holen die Kastanien aus dem Feuer, die anderen essen sie auf. Allein: Auch dieses Geschichtsbild stimmt nicht.

Dass und warum es nicht stimmt, legt Andreas Püttmann in einem Essay für die September-Ausgabe der Herder-Korrespondenz dar. Er räumt darin mit einer doppelten historischen Legende auf: Die Katholische Kirche in der DDR habe „vierzig Jahre lang geschwiegen“ (Friedrich Schorlemmer) und „erst sehr spät, als die Revolution praktisch vollzogen war“, in einer „Verdrängungsstrategie“ danach gestrebt, „Machtpositionen für die neue Ordnung zu erringen“ (Ehrhart Neubert). Im Lichte des historisch-demoskopischen Faktenchecks, den Püttmann unaufgeregt und souverän erledigt, sieht die Sache anders aus.

Die Fakten zeigten Folgen in der Wendezeit, darüber hinaus aber auch in den Jahren des Aufbaus in den Neuen Bundesländern. Püttmann konstatiert „eine stärkere Stimmung des Aufbruchs und der Gestaltungsfreude im ostdeutschen Katholizismus als im protestantischen Milieu“. Dieses schien noch länger seine ambivalente Haltung zur untergangenen DDR auszubalancieren, statt nach vorne zu schauen: Die Frage danach, ob die DDR ein Rechtsstaat war, „wurde nach der Wende von deutlich mehr Protestanten als Katholiken bejaht“. Den „Lackmustest auf das staatsethische Differenzierungsvermögen“, so Andreas Püttmann, hätten „viele Erben Luthers“ also „nicht bestanden“. Zumindest scheint das Stereotyp des widerständigen Protestantismus‘, zu dem der schweigende Katholizismus das passende Gegenstück bildet, durch solche empirischen Befunde mehr als in Frage gstellt.

(Josef Bordat)

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