Das Ausmaß an Gewalt, das uns über die Medien begegnet, ist erschreckend. Gebrauchsgegenstände werden zu Waffen umfunktioniert, immer wieder werden Tabus gebrochen, letzte Schranken, die selbst Gewalttäter meist zu achten bereit waren. Doch keine friedliche Menschengruppe bietet Schutz, keine Kirche, kein Krankenhaus kann heute noch als Zufluchtsort gelten.

In der Nachbetrachtung zeigt sich die Gewalt noch einmal in einer besonders perfiden Weise. Über die Opfer wird beißende Häme ausgegossen, ein Spott, der alles Menschliche trifft, um es zu vernichten, während sich die Täter als Helden feiern lassen. Es ist diese unbeschreibliche Bosheit, die in ihrem glühenden Engagement schier verzweifeln lässt.

Wo war eigentlich diese ganze Bosheit, bevor es das Internet gab? Sie blieb unausgesprochen in den Herzen der Menschen und zeugte neue Gewalt. Ist damit zu hoffen, dass die Möglichkeit verbaler Gewalt im Internet die Häufigkeit physischer Gewalt in der realen Welt senkt? Kann das Internet diese Funktion einer Art virtuellen Weichzelle erfüllen, in der sich potentielle Gewalttäter austoben dürfen?

Schaut man auf die Kriminalstatistik für Deutschland und betrachtet dort die so genannte „Häufigkeitszahl“ bei Kapitalverbrechen gegen Leib und Leben, so findet man diese Hypothese oberflächlich bestätigt. Gab es Ende der 1980er Jahre und Anfang der 1990er Jahre (also vor dem Siegeszug des Internet) noch 5,5 bis 6,5 „Straftaten gegen das Leben“ pro 1 Millionen Einwohner, so sank der Wert ab Mitte der 1990er kontinuierlich ab, von 6,0 auf Werte unter 4,0 (ab 2010). Bei „Mord“ hat sich der Wert sogar von 1,6 (Ende der 1980er Jahre) auf 0,8 (2010er Jahre) halbiert.

Vielleicht kann man an diese Daten denken, wenn wieder einmal ein Zeitgenosse nach Kräften darum bemüht ist, durch Einlassungen im Internet Zweifel an der These aufkommen zu lassen, alle Menschen seien mit Vernunft und Gewissen begabt. Vielleicht kann das sogar diejenigen ein wenig trösten, die von verbaler Gewalt im Internet betroffen sind. Auch, wenn das gar nicht so einfach ist.

(Josef Bordat)