„Alle Christen sind wahrhaft geistlichen Standes, und ist unter ihnen kein Unterschied dann des Amts halben allein. […] Demnach so werden wir allesamt durch die Taufe zu Priestern geweiht. […] Was aus der Taufe gekrochen ist, das mag sich rühmen, dass es schon Priester, Bischof und Papst geweiht sei, obwohl es nicht jedem ziemt, dieses Amt auch auszuüben.“ – Das schrieb Martin Luther im Jahr 1520 an den „christlichen Adel deutscher Nation“. Damit begründet der Reformator das „allgemeine Priestertum“. Warum – so sollte sich der angesprochene „christliche Adel deutscher Nation“ offenbar fragen – dann noch ein „besonderes Priestertum“, mit Weihe und Amt und Vorschriften für eine besondere Lebensführung? Das gehört dann wohl am besten abgeschafft. Zölibat und so.

Dass sich allgemeines und besonderes Priestertum nicht ausschließen, macht fast viereinhalb Jahrhunderte später das Zweite Vatikanische Konzil deutlich. In der Dogmatischen Konstitution Lumen Gentium (1964) wird einerseits das allgemeine oder gemeinsame Priestertum aller Gläubigen betont und andererseits die Bedeutung des besonderen Priestertums hervorgehoben: „Christus der Herr, als Hoherpriester aus den Menschen genommen (vgl. Hebr 5, 1-5), hat das neue Volk ,zum Königreich und zu Priestern für Gott und seinen Vater gemacht‘ (vgl. Offb 1, 6; 5, 9-10). Durch die Wiedergeburt und die Salbung mit dem Heiligen Geist werden die Getauften zu einem geistigen Bau und einem heiligen Priestertum geweiht, damit sie in allen Werken eines christlichen Menschen geistige Opfer darbringen und die Machttaten dessen verkünden, der sie aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen hat (vgl. 1 Petr 2, 4-10). So sollen alle Jünger Christi ausharren im Gebet und gemeinsam Gott loben (vgl. Apg 2, 42-47) und sich als lebendige, heilige, Gott wohlgefällige Opfergabe darbringen (vgl. Röm 12, 1); überall auf Erden sollen sie für Christus Zeugnis geben und allen, die es fordern, Rechenschaft ablegen von der Hoffnung auf das ewige Leben, die in ihnen ist (vgl. 1 Petr 3, 15). Das gemeinsame Priestertum der Gläubigen aber und das Priestertum des Dienstes, das heißt das hierarchische Priestertum, unterscheiden sich zwar dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach. Dennoch sind sie einander zugeordnet: das eine wie das andere nämlich nimmt je auf besondere Weise am Priestertum Christi teil. Der Amtspriester nämlich bildet kraft seiner heiligen Gewalt, die er innehat, das priesterliche Volk heran und leitet es; er vollzieht in der Person Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen des ganzen Volkes Gott dar; die Gläubigen hingegen wirken kraft ihres königlichen Priestertums an der eucharistischen Darbringung mit und üben ihr Priestertum aus im Empfang der Sakramente, im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung und tätige Liebe“ (Nr. 10).

Für das besondere Priestertum, das Weiheamt des Priesters, spricht demnach seine Leitungs- und Vermittlungsfunktion, die man auch als „aktives“ Priestertum verstehen könnte (bildet, leitet, vollzieht, bringt dar). Das allgemeine (jeder Gläubige als Einzelperson) oder gemeinsame (alle Gläubigen als Gemeinde) Priestertum scheint hingegen „passiv“ ( Empfang, Danksagung, Selbstverleugnung). Allein die „tätige Liebe“ gibt dem Priestertum der Gläubigen ein aktives Element. Andererseits ist damit bereits alles gesagt, wie die katholische Theologie schon vor Lumen Gentium erkannt hat. Für Joseph Ratzinger etwa ist das allgemeine Priestertum keine Konkurrenz zum besonderen Priestertum, zum „liturgischen Auftrag des Presbyters“, sondern „die Ausweitung des christlichen Kults in den Raum der Welt und der Menschheit hinein, für die die Gesamtheit der Christen priesterlichen Dienst zu tun berufen ist“ (Sentire Ecclesiam, in: Geist und Leben 36, 1963, S. 321). Hier wird das allgemeine Priestertum ganz aktiv: Dienst tun.

(Josef Bordat)