Kirche lässt weiterforschen

9. Januar 2013


Momentan wird darüber diskutiert, wie der Bruch zwischen Auftraggeber (Deutsche Bischofskonferenz – DBK, vertreten durch Bischof Stephan Ackermann) und Auftragnehmer (Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen – KFN, vertreten durch Professor Christian Pfeiffer) einer Studie zu den Missbrauchsfällen in Einrichtungen der Katholischen Kirche in Deutschland erklärt werden kann. Was sind die Gründe für das Aufkündigen der bislang (dem Anschein nach) guten und erfolgreichen Zusammenarbeit?

Es gibt – wie so oft – zwei Versionen.

Zum einen ist da die Version Pfeiffers, die man fast überall findet und die in den Kommentarbereichen nach nur drei Minuten zur absoluten Wahrheit wird, auch bei Kommentatoren, die sich „skeptiker0815“ nennen. Dass nach fünf Minuten die übliche Häme einsetzt, brauche ich wohl nicht zu erwähnen.

Was sagt Pfeiffer zu den Gründen? Nach Informationen von Tagesschau.de gab er an, es habe „Widerstände ausgehend von der Diözese München und Freising“ gegeben, dergestalt, dass die Bischöfe verlangt hätten, den Text der Studie „vor der Veröffentlichung zu Genehmigung vorgelegt zu bekommen“. Einige, so wird Pfeiffer weiter zitiert, hätten „offenkundig“ nicht gewollt, dass Missbrauchsfälle aufgeklärt werden. Zu den Umständen sagt er, Bischof Ackermann habe sich anfangs noch bemüht, „die Münchner, die Regensburger und die anderen, die aussteigen wollten“, umzustimmen, doch sei er damit gescheitert. „Es lag an Einzelnen in der Kirche, die dann den Rest gezwungen haben.“ Pfeiffer erhob den Vorwurf, diese „Einzelnen“ hätten die KFN-Studie vor der Veröffentlichung einsehen wollen, zum Zweck der inhaltlichen Manipulation (also: Zensur). Natürlich. Wozu auch sonst.

Zum anderen ist da die Version Ackermanns und der „Einzelnen“, deren Vertreter den Zensur-Vorwurf zurückweisen. Vielmehr ginge es ihnen um Fragen des Datenschutzes und der Anonymisierung, also keine inhaltlichen, sondern formale Aspekte. Es müsse, so ein Sprecher des Erzbistums München und Freising laut Tagesschau.de, darüber gesprochen werden, wie sich der „unbedingte Wille zur Aufklärung im Sinne der Opfer von Missbrauch mit der notwendigen Sorgfaltsverpflichtung sowie Fürsorgepflicht gegenüber kirchlichen Mitarbeitern“ vereinbaren lasse.

Datenschutz ist ein Anliegen, das Verständnis verlangt. Zur Erinnerung: Die Kirche hatte für die Studie Personalakten von Geistlichen aus den 27 deutschen Bistümern zur Verfügung gestellt, die Vorgänge aus den Jahren 2000 bis 2010 enthalten. Das ist Teil des „unbedingten Willens zur Aufklärung im Sinne der Opfer“, denn eine Rechtspflicht zur Offenlegung der Daten besteht nicht.

Dass die Bischöfe in ihrer „Sorgfaltsverpflichtung sowie Fürsorgepflicht gegenüber [ihren] Mitarbeitern“ auf Anonymisierung bestehen, ist keine „Zensurmaßnahme“, sondern ein völlig verständliches Ansinnen, dass den wissenschaftlichen Wert der Studie in keiner Weise schmälert, geht es darin doch um geclusterte, hochaggregierte Daten, die Aussagen über strukturelle Zusammenhänge ermöglichen sollen, nicht um die strafrechtliche Ermittlung in Einzelfällen.

Beim ersten Teil der Studie, die Ende 2012 veröffentlicht wurde, war – entsprechend den Regel der empirischen Sozialforschung – auf der Grundlage einer anonymisierten Auswertung von Befragungen und Gutachten ein umfassendes Bild über Täterpersönlichkeiten und Gefahrenmomente im kirchlichen Bereich erstellt worden. Die Leitung hatte allerdings nicht Pfeiffer, sondern Norbert Leygraf, Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie der Universität Duisburg-Essen. Es geht also offenbar auch so, d. h.: es geht nur so, wenn man bedenkt, dass das KFN eine Forschungseinrichtung und keine Ermittlungsbehörde und Pfeiffer Wissenschaftler und nicht Generalbundesanwalt ist.

Da ich mir sicher bin, dass es bei einem arrivierten Forscher wie Pfeiffer hinsichtlich methodischer Grundlagen seiner Disziplin keiner Nachschulung bedarf, stellt sich schon die Frage, was das soll, wenn er es trotzdem – dieser Eindruck entsteht sowohl aufgrund der Aussage des Bistumssprechers als auch der eigenen Einlassungen Pfeiffers – als Angriff auf die Forschungsfreiheit versteht, wenn der Auftraggeber seine Besorgnis über eine nicht-anonymisierte Veröffentlichung der Studie ausdrückt und den Schutz der Daten, die er zur Verfügung stellt, grundsätzlich gewahrt wissen will.

Bischof Ackermann teilte laut Tagesschau.de mit, das „Kommunikationsverhalten“ Pfeiffers habe „einer weiteren konstruktiven Zusammenarbeit jede Vertrauensgrundlage entzogen“. Was sich dahinter verbergen könnte, erfährt man auf Tagesschau.de wieder aus der Sicht Pfeiffers: Er sei „Gerüchten“, die Kirche habe belastendes Material vernichtet, nachgegangen und habe von den Bischöfen wissen wollen, was da dran sei. Er habe auf seine Anfrage nur die Antwort erhalten, allein diese Anfrage zerstöre das Vertrauen nachhaltig. Der Eindruck, der entsteht: Überempfindliche Bischöfe bremsen wahrheitsuchenden Wissenschaftler aus!

Wer mehr über die Hintergründe wissen will, muss im Domradio weiterrecherchieren. Dort spricht Ackermann davon, die Kündigung hänge „allein mit dem mangelnden Vertrauen in die Person von Professor Dr. Pfeiffer“ zusammen. Die Person Pfeiffers umfasst unterdessen mehr als sein „Kommunikationsverhalten“ (das auch in anderen Zusammenhängen recht eigentümlich ist), darüber lässt das Domradio keine Zweifel: „Pfeiffer war in den vergangenen Jahren durch ein umstrittenes Gutachten im Fall des angeblich von Neonazis ertränkten Jungen von Sebnitz und durch eine fehlerhafte Studie zum Rechtsradikalismus bei deutschen Jugendlichen in die Schlagzeilen geraten.“ Auch hier gilt es freilich vorsichtig zu sein, denn „in die Schlagzeilen“ gerät man heutzutage schnell. Doch wenn selbst die Süddeutsche Zeitung einem Wissenschaftler „methodischen Murks“ vorwirft, dann ist das schon merkwürdig.

Insofern darf es nicht – wie allenthalben zu lesen – heißen: „Kirche stoppt Studie“, sondern es muss heißen: „Kirche stoppt Pfeiffer“; die Forschungsarbeit selbst soll schnellstmöglich weitergehen, denn die Bischofskonferenz hält die „kriminologische Erforschung des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger im kirchlichen Bereich“ weiterhin für notwendig, so Bischof Ackermann. Daher werde sie „in den kommenden Wochen einen anderen Vertragspartner suchen“. Ergo: Kirche lässt weiterforschen.

Auch auf die Gefahr hin, von einem Teil der Menschen nicht mehr als jemand wahrgenommen zu werden, der Fakten nennt, sondern als jemand, der Straftäter deckt: 99 Prozent der katholischen Geistlichen hatte bzw. hat mit sexuellem Kindesmissbrauch nichts zu tun. 99 Prozent der Missbrauchsfälle findet nicht im Raum der Kirche statt. Dennoch ist die Kirche die einzige Institution in Deutschland, die sich systematisch und flächendeckend durchleuchten lässt, weil auch sie die Wahrheit wissen und künftige Fälle von Missbrauch verhindern will.

Dass sie, die Katholische Kirche in Deutschland, dabei weniger Wert auf ein gutes Image in den Medien legt (den widerständigen Bischöfen dürfte klar gewesen sein, was aus dieser Kündigung gemacht werden wird) als auf vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Auftragnehmer, und dass sie, die Katholische Kirche in Deutschland, bei aller Sorge um ein vollständiges, aussagekräftiges Bild ihre Pflicht gegenüber den eigenen Mitarbeitern nicht vergisst, das sollte ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden. Das wiederum sollten auch diejenigen einsehen, die sich jetzt in den Kommentarbereichen ereifern. Anonym, versteht sich.

(Josef Bordat)

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