Ein offenes Wort

12. Januar 2013


Wer es heutzutage wagt, beim Thema Kindesmissbrauch auch nur ein gutes Haar an der Kirche zu lassen, steht schnell im Abseits. Das ist O.K. Was ich aber seit 24 Stunden an Vorhaltungen zu hören und zu lesen bekommen, weil ich mal ein paar Fakten genannt habe, ist nicht mehr O.K., sondern tut mir grob Unrecht. Für einige Leserinnen und Leser scheine ich mit meiner „Verdrängungsrhetorik“, die für das Wohl der Kirche über Berge von Kinderleichen spaziert, ja fast so etwas wie einer der Haupttäter in Sachen „Missbrauch in der Kirche“ zu sein, wobei ich für die Jahre 1945 bis 1972 ein ziemlich gutes Alibi habe. Im Ernst: Was mir alles unterstellt wird, ist schon aberwitzig. Das meiste liegt auf der Ebene: Solange nicht widersprochen wird, dürfen wir behaupten – auch öffentlich. Und wenn ich mich in meinem Blog noch nicht gegen Kakerlaken im Müsli ausgesprochen habe, dann wahrscheinlich nur wegen meiner perversen Frühstücksgewohnheiten. Liebe Leute: Geht’s noch? Die Bewerbungsfrist für die lustigsten Beleidigungen ist abgelaufen.

Und die Opfer?!

Zurück zur Sache: Im Grundsatz wird mir immer wieder – mal mehr mal weniger direkt – vorgeworfen, ich kümmerte mich nicht um die Opfer, diese seien mir anscheinend egal, über den Schutz potenzieller Opfer lese man bei mir nichts etc. Und daher gehe man eben davon aus, dass mir die Kinder egal sind, ich nur die Kirche im Kopf habe usw. – Ich werde versuchen, so sachlich wie nur irgend möglich – innerlich koche ich – zu diesen Bemerkungen Stellung zu beziehen.

Ich bin kein Experte in Sachen Missbrauch, kann also zum direkten Opferschutz wenig qualifiziertes aussagen. Ich bilde mir aber ein, aufgrund meiner Ausbildung ein wenig von Diskursanalyse zu verstehen. Wenn ich deutlich mache, in welcher Weise der Diskurs läuft, kann ich den Betroffenen sicher mehr helfen als durch selbstverständliche Beileidsadressen den Opfern und ihren Angehörigen gegenüber, die ich lieber persönlich ausspreche, wenn ich von einem Fall Kenntnis habe, als in Allgemeinplätzen, was ich einfach für zu billig halte. Insoweit müssen Sie leider mit den diskursanalytischen Beiträgen leben, die bei mir erscheinen. Niemand ist gezwungen, diese zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn, diese zu lesen. Sie finden bei mir aber auch einen Bericht zum (leider schleppenden) Fortgang der Entschädigungsverhandlungen und einiges andere.

Ich will auf meine Weise dazu beitragen, dass die Opfer nicht vergessen werden, die Opfer des sexuellen Missbrauchs. Das sind in Deutschland pro Tag über 800. Mein Mittel dazu ist eben die Diskursanalyse, d. h., ich gucke mir an, worüber Menschen in den Medien reden im Zusammenhang mit einem bestimmten Thema, hier: dem Thema Missbrauch. Dabei stelle ich fest, dass es beim Thema Missbrauch fast ausschließlich gegen die Kirche geht, wo es doch zunächst und vor allem gegen die Tat, sodann auch (ohne Rachegelüste allzusehr in den Vordergrund dringen zu lassen, auch das halte ich für falsch) gegen den Täter gehen sollte. Sollte man jedenfalls annehmen.

Ich schreibe nochmal, was ich schon in einem der letzten Beiträge zu dem Thema schrieb: „Mir ging es mit diesen Prozentangaben um Größenordnungen, um die Symbolwirkung, damit das abscheuliche Thema Kindesmissbrauch endlich als gesellschaftliches Problem adressiert wird und nicht immer nur dann, wenn es um Täter aus den Reihen der Kirche geht.“ Und das ist mein Ziel: Dass wir über Missbrauch sprechen, nicht nur über Missbrauch in der Kirche.

Dazu braucht es ein anderes Framing des Themas, damit auch die Spezifika von familiärem und nichtkirchlich-institutionellem Missbrauch in den Blick kommen, also die Spezifika der Fälle, die 99 Prozent aller Fälle ausmachen. Nur: Wenn 99 Prozent der Aufmerksamkeit auf 1 Prozent der Fälle gelenkt wird, bleibt eben für die 99 Prozent der Fälle nur noch 1 Prozent der Aufmerksamkeit übrig. Mangelnde (mediale) Aufmerksamkeit ist der erste Schritt in Richtung Relevanzverlust, bis hin zu dem Punkt, dass die Opfer meinen, in so skurrile Fälle verwickelt zu sein, dass ihnen eh keiner glaubt.

Wer sich ein wenig mit dem Fall „Odenwaldschule“ beschäftigt, merkt sehr schnell, wie das funktioniert: Ein cooler 68er Humanismus „passt“ einfach nicht zum Thema Missbrauch; die Opfer haben noch sehr lange danach gedacht, mit ihnen stimme irgendetwas nicht, wenn sie das, was mit ihnen geschah, als „Missbrauch“ bezeichnen wollten. War das nicht einfach nur die Extra-Portion „Freiheit“? Ging es nicht darum, die „Verklemmtheit“ der bürgerlichen Welt zu überwinden? Das sind die Deutungen der Täter – im Fall Gerold Becker bis zu dessen Tod. Auch einige Opfer stellten sich diese Fragen. Dabei war das, was an der Odenwaldschule jahrzehntelang ablief eine besonders perfide und besonders systematische Form von Missbrauch. Ich kann hier nicht in die Einzelheiten gehen, diese lassen sich aber schnell recherchieren.

Also: Wir brauchen ein anderes Framing des Themas. Und ich schreibe eben, damit das gelingt. Das ist mein Beitrag für die Prävention. Das Thema zu „öffnen“ ist ein wichtiges Anliegen des Opferschutzes – das sage nicht ich als katholischer Fundamentalist, sondern darin weiß ich die eher unverdächtige Alice Schwarzer eng an meiner Seite.

Eine Lanze für unsere hervorragenden Priester und Ordensleute

Und: Ja, es geht mir auch darum, die vielen Geistlichen in Schutz zu nehmen, die keine Täter sind. Natürlich können Erwachsene mehr aushalten als Kinder, aber wenn durch einen völlig aus dem Ruder laufenden Diskurs, dessen inhärente Aggression jedes vernünftige Maß längst überschritten hat, in dem es möglich wird, unter großem Beifall alle Kirchenmitglieder als Verbrecher hinzustellen, weil sie durch ihre Mitgliedschaft in der „Kinderfickersekte“ (neudeutsch für Katholische Kirche) angeblich deren ins Wahnwitzige übersteigerten angeblichen kriminellen Machenschaften mittragen (behaupten darf man da mittlerweile alles, auch „zehntausende Opfer“, auch ein „System Kirche“, das einem Kinderpornoring ähnelt und allein zum Zweck des Missbrauchs eingerichtet wurde – süffisant „begründet“ mit dem Herrenwort „Lasst die Kinder zu mir kommen“, das habe ich alles schon gelesen), dann, so finde ich, soll man auch mal etwas Kritisches dazu anmerken dürfen, auch auf die Gefahr hin, sich unbeliebt zu machen (die Gefahr nehme ich persönlich gerne auf mich) oder von Dritten über seine tatsächlichen oder vermeintlichen Absichten belehrt zu werden. Denn es entsteht ein Klima der Hysterie, dass sehr schnell zu Überreaktionen führt, wie ich schon feststellen musste. In diesem Klima möchte ich nicht leben und ich möchte auch nicht, dass dies die vielen hervorragenden Priester und Ordensleute müssen, für die ich mich gerne einsetze.

(Josef Bordat)

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