Einheit und Einsicht

8. Mai 2016


In jener Zeit erhob Jesus seine Augen zum Himmel und betete: Aber ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir. So sollen sie vollendet sein in der Einheit, damit die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast und die Meinen ebenso geliebt hast wie mich. Vater, ich will, dass alle, die du mir gegeben hast, dort bei mir sind, wo ich bin. Sie sollen meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast, weil du mich schon geliebt hast vor der Erschaffung der Welt. Gerechter Vater, die Welt hat dich nicht erkannt, ich aber habe dich erkannt und sie haben erkannt, dass du mich gesandt hast. Ich habe ihnen deinen Namen bekannt gemacht und werde ihn bekannt machen, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und damit ich in ihnen bin. (Johannes 17, 20-26)

Jesus bittet den Vater für die Glaubenden. Für die Jünger der ersten Generation und für alle, die im Laufe der Zeit zum Glauben an Ihn kommen werden. Also auch für uns. Er bittet um Einheit („Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein“) und um Einsicht („Sie sollen meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast“). Es sind Bitten an den Vater, ziemlich eindeutig formuliert, so dass es eigentlich Forderungen sind. Jesus sagt ich will und sie sollen. Es geht, so scheint es, um das normative Ganze.

In dieser Schärfe sind fordernde Bitten nur möglich, wenn das Vertrauen da ist. Weil die Liebe zwischen Vater und Sohn vollkommen ist, kann Jesus Tacheles reden. Und weil die Vater-Sohn-Beziehung das Beispiel schlechthin für Einheit und Einsicht ist, kann Er daran appellieren. Wir wiederum können uns diese Beziehung zum Vorbild nehmen, wenn es um Einheit unter uns geht und um Einsicht in uns. Es geht also nicht darum, zu allem Ja und Amen zu sagen, nur, um Konflikten aus dem Weg zu gehen und nach außen Kontrolle zu suggerieren, sondern um Harmonie und Wahrheit in Liebe. Das schließt harte Auseinandersetzungen nicht aus.

Das ist für Jesus entscheidend: dass „die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und damit ich in ihnen bin“. Ohne Liebe kann man Einheit und Einsicht simulieren, aber nicht glaubwürdig leben, nicht so, dass „die Welt erkennt, dass du mich gesandt hast“. Um Menschen, die Jesus Christus und dem Christentum (noch) fern stehen, von Gottes Existenz zu überzeugen, ist es entscheidend, sie von der Existenz einer Liebe zu überzeugen, aus der Einheit und Einsicht erwächst.

Man muss sich nicht jeden Schuh anziehen, der einem von außen mit Hinweis auf Missstände in der Kirche hingehalten wird, denn Liebe heißt eben nicht, es allen recht zu machen, und sicherlich gibt es auch Menschen, denen man es nie recht machen kann, doch sollten wir aufhorchen, wenn man uns darauf anspricht, dass unter uns keine Liebe erkennbar sei. Dann nämlich hätten wir unseren Auftrag nicht erfüllt. Dann wären wir – nach dem Wort Jesu – gar keine Christen, denn nur in dem Maß, in dem „die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist“, ist auch der Herr „in ihnen“, also in uns – und wir in Ihm. Und dass wir in Ihm und bei Ihm sind, dass will Jesus. Deshalb liebt Er uns. Wenn auch wir es wollen, müssen wir diese Liebe Gottes erwidern und an die Menschen weitergeben.

(Josef Bordat)

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