Ein Beitrag von Fabian Maysenhölder passt gut in meine Vorbereitung auf das Podiumsgespräch mit Bischof Gebhard Fürst und dem Journalisten Joachim Frank zum Thema „Medien, Macht, Kirche“ am Mittwoch Abend im Ludwig-Windthorst-Haus in Lingen. Maysenhölder rezensiert kritisch einen Artikel, in dem behauptet wird, das Internet werde für ein Ende der Religion sorgen. Das sei nicht der Fall, so der evangelische Theologe und Blogger. Angesichts der äußerst schwachen Argumentation im besprochenen Text kann man sich dem Rezensenten anschließen, der statt dessen einen „Wandel der Religionen“ sieht, der vor allem von erhöhtem Rechtfertigungsdruck angeschoben werde. Es reiche eben nicht mehr, auf Dogmen zu verweisen, man müsse, um im Informationszeitalter als Religionsgemeinschaft überleben zu können, den Glauben plausibel (nicht zwingend: naturwissenschaftlich plausibel) begründen.

Die Katholische Kirche hat darin einiges an Übung. Die Substitution von „Dogmen“ durch „Argumente“ erfolgte bereits in der Scholastik – also vor Einführung des Internet als Massenphänomen. Ein Markenzeichen ihrer Auseinandersetzung mit den Anfragen an den christlichen Glauben (Anfragen der menschlichen Vernunft oder auch Anfragen anderer Religionen) ist seit Petrus Abaelardus und spätestens seit Thomas von Aquin die philosophische Methode des scholastischen Sic et non, einer Erörterung von Positionen des christlichen Glaubens, die weitestgehend von dessen Offenbarungsgehalt absieht, um allgemein anschlussfähig zu bleiben. Dazu gehört, die Argumente ernst zu nehmen, sie – durchaus auch zugespitzt – weiterzudenken und sie dann nachvollziehbar zu widerlegen, mit den Mitteln der Vernunft, die sich jedoch nicht absolut setzt, sondern in Gott gegründet weiß.

Das Internet sorgt freilich für eine andere Informationsqualität (nicht immer zum Besseren), vor allem aber für eine andere Informationsquantität. Es gibt mehr Information, die sich an mehr Menschen richtet. Das ist nur dann für die Religionen von Nachteil, wenn sich deren Vertreter im Internet nicht hinreichend positionieren. Denn es ist zwar so, wie Maysenhölder bemerkt, dass sich der Gläubige auch im Internet selektiv mit Information versorgen und Hetzportale meiden kann, doch scheinen religionskritische bis kirchenfeindliche Formen und Inhalte immer mehr in das Durchschnittsangebot allgemeiner Medien einzudringen. Wer etwa – Gedankenexperiment – seit 20 Jahren immer nur die Website der Tagesschau aufgerufen hat und nichts anderes, wird auch gespürt haben, dass der Gegenwind heute viel stärker bläst. Es ist ja vielfach so, dass eine kritische Haltung gegenüber der Kirche geradezu als „neutraler Standpunkt“ angesehen wird – und eben nicht als kritische Haltung. Eine unvoreingenommene Sicht ist hingegen gleich der interessegeleiteten Parteinahme verdächtig.

Das ist das Diskursumfeld – und dieses wird sicher nicht besser, nicht in Zukunft, nicht im Internet. Dort gibt es für die Katholische Kirche Nachholbedarf in der Schaffung solider Informationsangebote; dazu hatte ich mich vor kurzem schon geäußert. Wenn man bedenkt, dass das partizipative Internet, das Web 2.0, schon etwa 12 Jahre alt ist, und wenn man zudem weiß, dass die Kirche erst in den letzten Jahren wirklich aktiv geworden ist, ich denke da an katholisch.de, das offizielle Portal der Kirche, das erst vor gut einem Jahr auf den attraktiven Stand gebracht wurde, auf dem es sich jetzt befindet, dann muss man hier künftig mehr Präsenz einfordern – und auch mehr Wertschätzung gegenüber denen, die diese Präsenz seit Jahren zeigen, auch dann, wenn es unbequem ist und auch dort, wo es wehtut. Ich denke an die katholischen Blogs, die z.T. schon von Anfang an dabei sind, Kleriker wie Laien, Frauen wie Männer, die im Web 2.0 aktiv den christlichen Glauben katholischer Prägung vertreten und manchmal eben auch verteidigen. Eine Übersicht über diese Blogs findet man hier.

Damit die Kirche im virtuellen Diskurs nicht zum passiven Objekt wird, auf das jede und jeder ihr und sein Unverständnis projizieren kann (die Gefahr besteht wirklich), ist eine engere Zusammenarbeit von offiziellen Medienvertretern und den freischaffenden Bloggerinnen und Bloggern nötig. Letztere sind bereits gut vernetzt, auch durch die Einbeziehung sozialer Kommunitäten. Das kann auch den Vertretern der Kirche helfen. Ein Beispiel: Als sich Gebhard Fürst vor einigen Monaten auf Youtube zu Wort gemeldet hat, um eine Falschdarstellung in einem Fernsehmagazin sehr ruhig und sachlich richtig zu stellen, haben viele katholische Blogs die Nachricht weiterverbreitet, so dass das Video recht oft angeklickt wurde und eine insgesamt positive Bewertung erhält (34 „likes“ gegen 2 „unlikes“).

Blogs reagieren zudem schnell und wirkungsvoll auf sich anbahnende Kampagnen und diskutieren bei Bedarf auch mal religionsphilosophische Grundprobleme. Für viele, gerade auch für viele junge Menschen mit hoher formaler Bildung (und zukünftig einer dementsprechenden Rolle als Meinungsmultiplikatoren), sind Bloggerinnen und Blogger die Ansprechpartner im Alltag, in dem sie sich auf der Suche nach Antworten befinden, nach Antworten auf Sinnfragen, die immer auch religionsrelevant sind. Hinter dem kritischen Duktus, ja, dem unverhohlenen Spott, und auch hinter der oftmals freizügig zur Schau gestellten vermeintlichen intellektuellen Überlegenheit, steht oft ein Mensch auf Sinnsuche, der niemals den Weg in eine Kirche fände. Hier kann das Internet gerade der „Anfang der Religion“ sein, zumindest einer differenzierteren Sicht auf Glaube, Religion und Kirche, der Anfang des Verständnisses für das Unverstandene.

Es gibt also einen stärkeren Rechtfertigungsdruck, denn das Internet suggeriert ein Recht auf Rechtfertigung für jeden in jeder Frage. Dem nachzugeben ist mühsam, aber notwendig. Dabei gibt es Regeln, zu denen auch Abbruchbedingungen zählen, denn keine Religion erschöpft sich allein in Debatten um die Wahrheit. Der christliche Glaube etwa kennt das Geheimnis (was etwas anderes ist als ein „Rätsel“), die gläubige Annahme des nicht vollständig Verstehbaren als ein Ausdruck des Vertrauens auf Gott. Es geht zudem darum, nicht nur das richtige Maß zu finden, sondern auch den richtigen Stil. Für den Diskurs im Internet gelten die gleichen Grundsätze wie für das persönliche Gespräch auch. Das bedeutet, dass man sich als Person zu erkennen gibt, dass man sachlich bleibt, dass man trotz des anonymen Mediums nie vergisst, mit Menschen zu kommunizieren – und nicht bloß in einen virtuellen Raum hinein. Dazu habe ich vor einiger Zeit ein ausführlicheres Papier erstellt. Auch im Internet ist also die Verbindlichkeit, Ernsthaftigkeit und auch Schlichtheit durchzuhalten, die man von einer Christin, einem Christen erwarten kann. Man soll die Dinge so einfach sagen, wie eben möglich – aber nicht einfacher. Hier ist das Internet eine Versuchung zur oberflächlichen, plakativen Darstellung, mit der man Aufmerksamkeit erzielen kann – und Aufmerksamkeit ist ja die harte Währung der Neuen Medien. Aber das Interesse ebbt schnell ab, wenn keine Substanz hinter der Schlagzeile steckt.

Also: Wir als in den Medien tätige katholische Christen sollten im Internet selbstbewusst und konkret von der Hoffnung erzählen, die uns bewegt, zugleich offen sein für Fragen, die den Glauben betreffen, und auch Kritik an der Kirche wahrnehmen und ihr, soweit sie überzogen oder unberechtigt ist, engagiert, aber sachlich, sachlich, aber engagiert entgegentreten. Dafür brauchen wir zentrale Portale wie katholisch.de, aber auch dezentrale Blogs – auch wenn diese nicht zu steuern sind. Kontrollverlust ist eben auch eines der Merkmale des Internet, das die Kirche verändern könnte – soviel steht fest. Ob umgekehrt auch die Kirche das Internet verändern kann, wird sich zeigen. Es liegt an uns.

(Josef Bordat)