Kruzifix-Urteil

9. Juli 2015


Boliviens Präsident Evo Morales schenkt seinem Besucher, Papst Franziskus, ein Kruzifix, bei dem der Gekreuzigte an einen Hammer geschlagen ist, zu Seinen Füßen eine Sichel. Das ist weit mehr als ein Geschenk, es ist das Symbol für ein Programm: die Politische Theologie eines sozialistischen Christentums oder eines christlichen Sozialismus, genauer: eines Sozialismus mit ein wenig christlicher Folklore.

Der Papst ist etwas irritiert. Zu Recht. Denn das Geschenk ist eine Provokation. Die Botschaft des Christentums ist eine grundlegend andere als die des Sozialismus. Erlösung kommt im Christentum nicht durch ein menschliches System, sondern durch Gott, der sich dem Menschen zuwendet. Moralischer Ausgangspunkt ist im Christentum die gute Tugend des Einzelnen, nicht die gerechte gesellschaftliche Ordnung (diese ist in der christlichen Ethik gerade das Ergebnis der Tugendhaftigkeit). Das Ziel der Welt ist für den Christen das Reich Gottes, das hier beginnt und in Gott seine Vollendung findet, für den Sozialisten die klassenlose Gesellschaft, das hier beginnt und auch hier endet.

Die Katholische Soziallehre wendet sich gegen ungezügelten Kapitalismus ohne soziale Rahmensetzung, aber ebenso gegen einen Sozialismus ohne unternehmerische Freiheit, ohne die Möglichkeit der Entfaltung von Talenten, die sich am Markt einer bunten Konkurrenz stellen müssen. Es mag in der Liberalismuskritik und auch in einzelnen konkreten wirtschaftpolitischen Fragen Übereinstimmungen geben (etwa bei der Rolle der Finanzmärkte, der Sonderstellung von Nahrungsmittel- und Kleidungsproduktion sowie von Versorgungsunternehmen), doch die Unterschiede überwiegen.

Es ist, kurz gesagt, ein ganz anderes Menschenbild, das dem Christentum auf der einen und dem Sozialismus auf der anderen Seite im Rücken steht. Die schöpfungstheologische Sicht auf den Menschen ist eine völlig andere als die des historischen Materialismus: Geschöpf Gottes, dessen Bewusstsein das Sein formt, oder aber Produkt der gesellschaftlichen Umstände, bei dem das Sein das Bewusstsein bestimmt. Das sind zwei verschiedene Arten Mensch.

So gewendet, bekommt das Kruzifix eine ganz andere Bedeutung: Das Christentum (vertreten durch den Corpus Christi) fällt dem Sozialismus zum Opfer (vertreten durch Hammer und Sichel), wenn ein christlicher Sozialismus oder ein sozialistisches Christentum angestrebt wird. Die Erlösungkraft des Kreuzes schwindet, das Licht der Welt verblasst, wenn die Botschaft Jesu vereinnahmt wird, um einem menschlichen Programm den Segen zu geben. Der Papst weiß das. Und spricht deshalb sein Kruzifix-Urteil: „No está bien esto.“

(Josef Bordat)