Mein Erster Mai

1. Mai 2015


Für mich, als „grüner Traumtänzer übelster Sorte“, ausgestattet mit einem „kranken Sozialisten-Hirn“, gab es zum Ersten Mai natürlicherseits nur ein lohnendes Ziel: Hinaus! Nur: Wohin? Für freischaffende Autoren gibt es keine Gewerkschaft, jedenfalls keine, die ein Grillfest organisiert. Also – mal kurz überlegen, was ich früher am Tag der Arbeit, am dem fast alle frei haben, tat oder zumindest nicht lassen konnte. Voilà!

MyFest

In Kreuzberg angekommen, wird mir klar, dass ich nicht der Einzige bin, der die Idee hatte, auf das MyFest zu gehen, das sich zwischen O-Platz und Kotti ausbreitet, als ginge es darum, auf jeden Fall größer zu sein als ein Begrüßungsabend beim Kirchentag.

MyFest-Panorama

Für die Nicht-Berliner: Kreuzberg, das ist der Bezirk, in dem es zwar kein Weihnachten mehr gibt, dafür aber Kneipen, die nach einer besonders perfiden Waffengattung benannt sind, bei deren Einsatz der Tod dessen, gegen den sie sich richtet, „billigend in Kauf genommen wird“, und gleich daneben Menschen, die Fahnen mit dem Konterfei eines bereits verstorbenen Menschen schwingen, der – hätte es damals einen Internationalen Strafgerichtshof gegeben – heute noch wegen Verstoßes gegen Artikel 7 Absatz 1 des Römischen Statuts in Den Haag in der Haft säße.

Kneipe und Konterfei

Doch bei Rothaus-Bier und Club-Mate zählt am Ende nur die Seite, auf der Du stehst. Wir, das sind die Guten. Der Rest ist Nazi. Und darum regt sich immer und überall was genau gegen den Rest? Richtig: Widerstand! Tolles Banner. Das Foto von der Trittleiter, die ein Anti-Kapitalist auf eine Straßenkreuzung gestellt hatte, kostet ein Euro. Man ist gegen Bonzen, aber nicht blöd.

Banner

Geschäftstüchtig ist auch die Kreuzberger Gastronomie. Irgendwann kommt der Hunger. Beim Bestellen des Döner erinnere ich mich wieder daran, dass ich ein „konservativer Purist“ bin und verzichte auf die Knoblauchsoße. Der Döner kostet 50 Cent mehr als sonst. Der Preis ist an Tagen wie diesen offenbar der gewachsenen Marktmacht in der Konstallation Kurzfristiger Anstieg der Nachfrage im Angebotsoligopol geschuldet. Anti-Kapitalismus zum Verlieben.

Straßenecke

Bevor sich zu den Anti-Kapitalisten auch noch die Friedfertigen gesellen, ziehe ich davon. Mein Blick geht zurück. Ein grüner Luftballon erklärt: „Kein Kiez für Nazis!“ Eben.

(Josef Bordat)