Einsicht. Schutz. Einheit

19. Januar 2016


Betrachtung zur Weltgebetswoche für die Einheit der Christen

Alle sollen eins sein (Joh 17, 21).

Bevor Jesus diese Welt verlassen hat, wendet er sich bittend an den Vater (Joh 17, 9-26). Er bittet den Vater insbesondere um drei Dinge: um Einsicht, um Schutz und um Einheit. Jesus erbittet dies für die Christen. Er bittet für die Jünger der ersten Generation und für alle, die im Laufe der Zeit zum Glauben an Ihn kommen werden. Also auch für uns.

Jesu Fürbitte für die Christen

Jesus bittet um Einsicht („Sie sollen meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast, weil du mich schon geliebt hast vor der Erschaffung der Welt“, Joh 17, 24), um Schutz („Ich habe ihnen dein Wort gegeben, und die Welt hat sie gehaßt, weil sie nicht von der Welt sind, wie auch ich nicht von der Welt bin. Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst“, Joh 17, 14-15) und um Einheit („Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein“, Joh 17, 21). Es sind eindringliche Bitten an den Vater, ziemlich deutlich formuliert, so dass es eigentlich Forderungen sind. Jesus sagt ich will und sie sollen. Es geht, so scheint es, um das normative Ganze.

Liebe als Grund

In dieser Schärfe sind fordernde Bitten nur möglich, wenn das Vertrauen da ist. Weil die Liebe zwischen Vater und Sohn vollkommen ist, kann Jesus Tacheles reden. Und weil die Vater-Sohn-Beziehung das Beispiel schlechthin für Einsicht, Schutz und Einheit ist, kann Er daran appellieren. Wir wiederum können uns diese Beziehung zum Vorbild nehmen, wenn es um Einheit unter uns geht, die auf der Einsicht gründet und Schutz in der Gemeinschaft ermöglicht. Es geht also nicht darum, zu allem Ja und Amen zu sagen, nur, um Konflikten aus dem Weg zu gehen und nach außen Kontrolle zu suggerieren, sondern um Wahrheit in Liebe. Das schließt harte Auseinandersetzungen nicht aus – Liebe in Wahrheit.

Für Jesus ist entscheidend, dass „die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und damit ich in ihnen bin“ (Joh 17, 26). Ohne Liebe kann man Einsicht, Schutz und Einheit simulieren, aber nicht glaubwürdig leben, nicht so, dass „die Welt“ erkennt, „dass du mich gesandt hast“ (Joh 17, 25). Um Menschen, die Jesus Christus und dem Christentum (noch) fern stehen, von Gottes Existenz zu überzeugen, ist es entscheidend, sie von der Existenz einer Liebe zu überzeugen, aus der Einsicht, Schutz und Einheit erwächst.

Aktuelle Gebetsanliegen

Einsicht, Schutz und Einheit sind Gebetsanliegen, die auch heute im Zentrum unseres Bittens stehen, die an Aktualität kaum zu überbieten sind. Sowohl der Mangel an Glaubenswissen unter den Christen (von der nicht-christlichen Gesellschaft ganz zu schweigen), als auch die Verfolgung und die tiefe Spaltung der Christenheit zeigen sich gegenwärtig drastischer als je zuvor. Schließen wir uns daher in dieser Woche, der Weltgebetswoche für die Einheit der Christen, dem Fürbittgebet des Herrn an: Gott möge die Christen zur Einsicht führen, ihnen Schutz gewähren und Wege zur Einheit weisen.

Einheit. Was bedeute das konkret?

Es gibt grundsätzlich unterschiedliche Erwartungen und Vorstellungen, was christliche Ökumene ist bzw. sein könnte. Die Positionen gehen von „friedlicher Koexistenz“ bis hin zur Verschmelzung der Konfessionen zu einer Kirche. Erst dann sei die „volle“, die „sichtbare“ Einheit der Christen erreicht. Doch auch nach der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (1999) kann kein Zweifel bestehen: Bis dahin, also zur Einen Kirche, ist es noch ein weiter Weg. In den „Knackpunkten“ des interkonfessionellen Gesprächs (Abendmahl/Eucharistie, Kirchenbegriff, Amtsverständnis) ist die ökumenische Bewegung arg ins Stocken geraten.

Es gibt aber keinen Grund zur Verzweiflung, sondern allen Grund zur Hoffnung, zumindest, was die „Einheit in der Vielfalt“ als „versöhnte Verschiedenheit“ betrifft, denn wir wissen Jesus in unserer Mitte. Wir teilen den Glauben an Christus als Erlöser. Das ist die Basis, unter der kein Christ, sei er katholisch, evangelisch oder orthodox, abtauchen kann. Mehr zu erwarten wäre falsch, denn die Verschiedenheit der Deutung des Begriffs „Erlösung“ ist schon zu groß.

Kein „Bad in Harmoniesoße“

Ökumenische Einheit kann man nicht herbeiführen, indem man in Beliebigkeit verfällt. Dies widerspräche der Tatsache, dass es sich beim christlichen Glauben in seiner katholischen, evangelischen und orthodoxen Variante um ein System fester Überzeugungen handelt, die den Anspruch haben, wahr zu sein. Wahrheit ist eine ernste Angelegenheit, die man nicht der Relativierung anheim stellen darf. Ungeduld, Aktionismus, überzogene Forderungen, Polemik, aber auch ein „Bad in Harmoniesoße“ (der frühere ZdK-Präsident Meyer) hemmen den Dialog eher als dass sie ihn förderten.

Wer vorschnell eigene Positionen aufgibt, nur um in der Ökumene „weiter“ zu kommen, erkennt nicht, dass damit jeder Wert des Fortschritts verloren geht. Es muss gelingen, nach einem ökumenischen Schritt sich und Andere weiterhin ernst nehmen zu können. Einheit darf nicht um den Preis des Identitätsverlusts zu erzielen versucht werden.

Einheit in Vielfalt

Die vielbeschworene Formel der „Einheit in der Vielfalt“ kann zudem nur dann verfangen, wenn die Unterschiede der gemeinsamen Orientierung nicht im Wege stehen. Bei einigen Fragen ist das leider so. Wenn wir uns im Geiste Gottes um den Herrn versammelt wissen, schrumpfen liturgische, theologische und ekklesiologische Differenzen. Andererseits werfen diese Differenzen die Frage auf, ob die Versammlung überhaupt noch „im Geiste Gottes“ und „um den Herrn“ stattfindet. Die Vielfalt zeigt mithin schnell die Grenzen der Einigungsbemühungen auf und es stellt sich damit nicht nur deutlich die Frage, wie viel Einheit möglich, sondern wie viel Einheit überhaupt nötig ist.

Es bleibt dabei: Ökumenischer Dialog bedeutet Streit der vielfältigen christlichen Annäherungen an Gott. Dieser Streit ist konstruktiv, soweit er das Ziel – so viel gemeinsam getragene Einheit wie möglich – nicht aus dem Auge verliert und sich der Basis bewusst bleibt: des Glaubens an Jesus Christus.

Versöhnte Verschiedenheit

Das Wort von der „versöhnten Verschiedenheit“ beschreibt damit wohl den Zustand der Ökumene derzeit am besten. Wer von Ungeduld getrieben ist und mehr will, wird am Ende mit weniger dastehen. Auch Großereignisse wie Ökumenische Kirchentage konnten und können nicht dauerhaft über inhaltliche Differenzen hinwegtäuschen. Aber sie können Felder markieren, die gemeinsam bestellt werden können. Die Frage einer gerechten Wirtschaftsordnung und einer Lebensweise, die im Einklang mit der natürlichen Umwelt steht, gehören als Kernthemen christlicher Spiritualität sicherlich dazu. In der Option für die Armen und dem Bemühen um die Bewahrung der Schöpfung gibt es längst lebendige Ökumene.

Christen in Verfolgung müssen zusammenstehen

Und: Lebendige Ökumene gibt es vor allem an der Basis, wo es die persönlichen Beziehungen sind, die die Einheit ermöglichen und die Gemeinschaft tragen. Vieles ist in Deutschland nur noch (oder zumindest: viel besser) ökumenisch möglich, von gemeinsamen Aktionen der Studierendengemeinden an den Universitäten über Chöre und Suppenküchen bis hin zur Formulierung von politischen Positionen. Wenn der christliche Glaube in der Berliner Republik noch Gehör finden will, muss die Gemeinde Jesu mit einer Stimme sprechen, auch und gerade mit Blick auf die hundert Millionen Christen in Verfolgung, die Schutz brauchen und ihn auch in einigen Fällen bei uns suchen. Spätestens da sollte egal sein, welcher Konfession sie angehören.

Leibniz und die Einheit der Kirche

Weil wir uns im Leibniz-Jahr befinden, sei zum Schluss ein kurzer Schlenker zu diesem großen protestantischen Philosophen gestattet. Auch für Leibniz war die Ökumene ein ganz wichtiges Thema. Zwei Jahre vor dem Ende des Dreißigjährigen Krieges geboren, lebt er in der Nachkriegszeit in einem Klima des Misstrauens der Konfessionen, das es – in Gottes Namen – zu überwinden gilt. Leibniz ist (ganz katholisch im eigentlichen Sinne des Wortes) der Meinung, nur die Eine Kirche sei überhaupt eine Kirche. Diese Einsicht braucht es auch heute wieder.

(Josef Bordat)

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