Hungertuchbetrachtung (3)

11. März 2016


Am Sonntag ist Passionssonntag. Zugleich wird an diesem Sonntag die Misereor-Kollekte gehalten. Das ist ein Anlass, einmal genauer auf das Misereor-Hungertuch zu schauen.

Wir können uns den Himmel nicht mit Werken erwerben – Erlösung geschieht aus Gnade –, doch unsere Werke sollen die Gnade Gottes zum Leuchten bringen. Das Hungertuch erscheint mir in diesem Zusammenhang wie eine Flagge zu sein, die insgesamt etwas symbolisiert, so wie auch Landesfahnen immer in ihren Farben eine tiefe Symbolik tragen. Das spirituelle Gold Gottes – Jesus Christus – im Zentrum, das die Finsternis erhellt. Das tiefe Schwarz im Mittelstreifen wird nach oben und unten zu einem Grau. Das könnte bedeuten: Das helle Weiß Gottes durchdringt als Glanz des Goldes Christi unser Schwarz und verdrängt einen Teil der Finsternis, in der wir leben. Der Mensch bleibt eingespannt zwischen dem Willen Gottes, der für den Menschen Barmherzigkeit und Gnade vorsieht, und seinem Willen, seinem Ego, das er, der Mensch, in tätiger Liebe überwinden soll. Daher: grau.

Es geht also nach dem Willen Gottes sehr wohl auch um unser Handeln, unsere Werke, um die barmherzige Werke des Menschen. Das Jahr der Barmherzigkeit erinnert uns in ganz besonderer Weise an diesen zentralen Aspekt des christlichen Lebens. Auch beim Jüngsten Gericht wird es um unsere Werke gehen. Die Unterscheidung von „Schafartigem“ und „Bockmäßigem“ in uns – in jedem von uns – geschieht auf Grundlage der Haltung der Barmherzigkeit, die in unserem Leben zum konkreten Verhalten wurde, zur tätigen Nächstenliebe (vgl. Mt 25, 31-46).

Auch für die Barmherzigkeit gilt: Es gibt materielle und spirituelle Werke der Barmherzigkeit, jeweils genau sieben an der Zahl. Mit ein bisschen Phantasie könnte man die sieben auch hier auf dem Hungertuch wiederfinden: Sieben keine Goldstückchen liegen zu Füßen des großen Goldsteins, der für Jesus Christus steht. Gewissermaßen wie die Abkömmlinge, die Kinder des Herrn, der hier durch den großen Goldklumpen dargestellt wird. Nachfolge Christi zeigt sich also in der Barmherzigkeit, könnte man auch hieraus lesen. Ein weiteres Detail mit Blick auf Zahlen besteht in den zehn nach außen weisenden Ecken des Goldklumpens, vielleicht ein Hinweis auf den Dekalog, die Zehn Gebote, die von Gott ausgehen und ja Grundlage allen menschlichen Handelns sein sollen.

Doch zurück zu den Werken der Barmherzigkeit. Die materiellen, die leiblichen Werke der Barmherzigkeit sind: Hungrige speisen, Dürstenden zu trinken geben, Nackte bekleiden, Fremde aufnehmen, Kranke besuchen, ebenso auch Gefangene besuchen und die Toten bestatten. Die spirituellen oder geistigen Werke der Barmherzigkeit sind: Unwissende lehren, Zweifelnde beraten, Betrübte trösten, Sünder zurechtweisen, lästige Menschen geduldig ertragen, Menschen, die uns beleidigen, verzeihen und beten, für die Lebenden und die Toten.

Die spirituellen Werke sind im Grunde genommen und letztendlich die wichtigeren, die entscheidenden. Sie richten sich auf die Seele, das Wohl des Menschen als Person. Die Sorge um das leibliche Wohl ist nicht unwichtig, aber entscheidend ist das seelische Wohlergehen. Es ist also besser, sich darum zu kümmern. Wir denken an Maria und Marta, an die kontemplative Lebensform, die nicht Untätigkeit bedeutet, und die aktive Lebensform, die dagegen stets droht, in Aktionismus umzuschlagen. Maria, so Jesus, habe „das Bessere gewählt“ (Lk 10, 42).

Wir können uns jetzt der zum Schluss implizit an uns gerichteten Frage zuwenden: „Wem dienst Du – Gott oder dem Mammon?“ Wir müssen aber auch hier aufpassen, bevor wir antworten. Es geht um eine Entscheidung den Dienst betreffend, nicht darum, was in unserem Leben überhaupt eine Rolle spielt. Es geht vielmehr darum: Wer oder was spielt die Hauptrolle, woran richte ich mich aus? Woran binde ich mich, wovon mache ich mich abhängig? Der Dienst, von dem hier die Rede ist – ja, man darf das durchaus als Sklavendienst verstehen, als ein Wirken in Abhängigkeit – gebührt letztlich Gott, nicht dem Mammon, dem Götzen, dem Geld, dem materiellen Gold. Wenn wir also dienen, in letzter Konsequenz dienen, dann Gott, nicht dem Gold im materiellen Sinne. Anders gesagt: Es mag beides vorkommen, aber Gott ist der Zweck, das Gold ist das Mittel. Gott ist die absolute, das Gold die relative Größe. Das materielle Gold unterstreicht den Wert des spirituellen Goldes.

Das Hungertuch lädt ein, darüber nachzudenken, was es bedeuten kann, in unserem Leben eine gelungene Zuschreibung zu den materiellen und den spirituellen Belangen unseres Dasein vorzunehmen. Dabei geht es nicht nur um Zeit und Energie (also: Montags-Samstags „Gold“, Sonntags dann „Gott“), sondern vor allem um die Frage: Woran orientieren wir uns? Man kann und soll auch dort, wo es um das Materielle geht, Gott nicht vergessen. Das bedeutet, Gottes Gebote – insbesondere das Liebesgebot, das wichtigste Gebot – stets zu berücksichtigen. In Verbindung mit der Misereor-Fastenaktion heißt das zunächst, darüber nachzudenken, wie wir Visionen vom Guten Leben für alle entwickeln können, Ideen und Gedanken, die zu zukunftsfähigen Modellen eines einfachen, solidarischen und genügsamen Lebens führen, in welchem Gott und Gold keine Gegensätze sind, sondern in welchem Gott und Gold beide Platz finden. Aber eben in genau dieser Reihenfolge.

Jesus Christus ist der Stein aus Gold, an dem wir uns stoßen, weil er eine Entscheidung von jedem von uns fordert: Dienst du Gott oder dem Mammon?

(Josef Bordat)