Ohne Bibel kein Buch

14. Februar 2017


Christliche Mission als kulturschaffende Grundlage für die Bildung des modernen Europa

Dass sich das Christentum im heidnischen Europa auch deswegen durchsetzte, weil es kulturell überlegen war, ist bekannt. Josef Ratzinger hat in seiner Rede „Die Christenheit, die Entmythologisierung und der Sieg der Wahrheit über die Religionen“ am 27. November 1999 in der Pariser Sorbonne darauf hingewiesen, dass „der Sieg des Christentums über die heidnischen Religionen nicht zuletzt durch den Anspruch seiner Vernünftigkeit ermöglicht wurde“.

Der Historiker Arnold Angenendt betrachtet die Mission daher insbesondere als Aufeinandertreffen von christlicher Hochkultur und heidnischer Einfachkultur: „Welten von ganz unterschiedlichem Niveau prallten aufeinander, einerseits mit Philosophen, Juristen, Gesetzen und Gerichten und andererseits mit Brauchtum, Ordal und brachialem Zweikampf; einerseits Schulen mit Lesen und Schreiben und andererseits Stammessagen mit rituellem Zauber“ (Toleranz und Gewalt, S. 395).

Kultur braucht Verstetigung. Die gab es bei den alten Germanen oder Slawen nicht, weder besondere Bauwerke sind bekannt noch Bücher oder Artefakte, die nicht zugleich Gebrauchsgegenstände waren. Bibliotheken gab es erst, als auf „deutschem“ Boden Kirchen und Klöster errichtet wurden. Eine Ausbildung in Kulturtechniken (wie Lesen und Schreiben) gab es ebenfalls erst mit dem Christentum, denn dieses „hatte zur Grundlage das Buch der Bibel, weswegen Lesen, Schreiben wie noch Auslegung erforderlich waren“ (Angenendt: Toleranz und Gewalt, S. 395).

Die christliche Mission brachte also nicht nur eine neue Religion nach Mittel- und Osteuropa, sondern auch die Schriftkultur, mit der eine verstetigte Überlieferung auch jenseits des eigenen Stammes möglich wurde. Einer der beiden christlichen Missionare, welcher die Kirche heute gedenkt, Kyrill von Saloniki, ist ein gutes Beispiel für die kulturelle Emporentwicklung, die Europa mit dem Christentum nahm. Kyrill schuf das erste slawische Alphabet, die Glagolitische Schrift, aus der später die nach ihm benannte Kyrillische Schrift entstand.

Europa lernte mit den Missionaren nicht nur den Erlöser Jesus Christus kennen, sondern auch Lesen und Schreiben. Aus illiteraten Tribalstrukturen entsteht mit der Mission die Grundlage der modernen Wissensgesellschaft. Das war nicht leicht. Im Zuge von Bibelübersetzungen musste etwa auf eine angepasste Sprache geachtet werden, um die christliche Botschaft einer „Einfachkultur“ verstehbar zu machen, deren Sprachvermögen sehr begrenzt war. Ihr fehlte die differenzierte Begrifflichkeit und das hohe Abstraktionsniveau des Griechischen oder Lateinischen, mithin Aspekte, die für philosophische und theologische Überlegungen nötig sind.

„Jeder höhere Gedanke, jede theologische Spekulation, jede Wissenschaft entzog sich noch ihrem Sprachvolumen“, resümiert der Mediävist Johannes Fried (Der Weg in die Geschichte, S. 108) über unsere Vorfahren. Und Arnold Angenendt meint schlicht: „Es fehlte den germanischen Sprachen an der nötigen religiös-innerlichen Ausdrucksfähigkeit“ (Toleranz und Gewalt, S. 398). Damit formte das Christentum auch ein neues Denken, ein Denken in Abstrakta, das vor allem die Wissenschaft, aber auch das Rechtswesen in Europa beflügelte.

(Josef Bordat)