Es gibt offenbar Menschen, die meinen, dass man, so man nicht für jede Form von Tierschutz einzutreten gewillt ist, ganz allgemein gegen Tierschutz sei. Im Zuge von Debatten über Peter Singer und seinen Preis kommt mir immer wieder unter, dass man doch sehen müsse, wie wichtig Tierschutz sei. Daher sei jeder Fortschritt in der Angelegenheit zu begrüßen und man dürfe das Kind nicht mit dem Bade ausschütten und Ähnliches mehr.

Also. Die gute Absicht, mit der Singer und Gefährten für den Tierschutz eintreten, erkenne ich. Aber Tierschutz darf nicht zu Lasten des Menschen gehen. Bei Singer ist genau das der Fall, was wiederum mit seinem moraltheoretischen Ansatz zu tun hat, Person und Nicht-Person phänomenologisch und nicht ontologisch zu definieren. So landet man schließlich bei eimem pathozentrisch orientierten Physikalismus, in dem der Unterschied von Mensch und Tier zugunsten der neuen Differenz von leidensfähiger und nicht-leidensfähiger Natur aufgehoben ist. Welche Implikationen es hat, wenn man diesen Physikalismus zuende denkt, hat mir eine Debatte gezeigt, die ich vor einigen Jahren geführt habe.

Das ist nicht meine Idee von Tierschutz. Für mich ergibt sich gerade aus der Tatsache, dass der Mensch höher steht als das Tier, ja, unter den Geschöpfen die Krone trägt, eine besondere Verantwortung des Menschen für die Natur im Allgemeinen und das Tier im Besonderen. Ich sehe in der Aufhebung des prinzipiellen Unterschieds in Singers pathozentrischem Physikalismus die Gefahr, dass damit nicht das Tier auf-, sondern der Mensch abgewertet wird. Überzeugender als Singers Ansatz sind daher für mich schöpfungstheologisch grundierte Ansätze einer moderaten Verantwortungsethik, die sich nicht schämen, aus guten Gründen anthropozentrisch zu bleiben. Moderat nenne ich sie deshalb, weil sie die Verantwortung nicht überdehnen, Moral nicht zum Heil übersteigern und auf ihrem schöpfungstheologischen Fundament nicht den Menschen, sondern Gott als Herrn der Geschichte betrachten.

Zwei Einwände. Erstens. Unterschätzt sich der Mensch, wenn er sich Gott unterwirft, wenn er also nicht die letzte Konsequenz seines Handelns tragen will? Die Perspektive des Menschen hat Grenzen. Wenn das größte Glück der größten Zahl die Zielgröße der Moral sein soll, dann müsste der Mensch wissen oder zumindest wissen können, was Glück ist, wodurch es hervorgebracht werden kann und wie sich unterschiedliche Handlungsfolgen hinsichtlich ihres Glücksgehalts vergleichen lassen. Dazu müsste das Glück quantifiziert werden. Ein Ding der Unmöglichkeit, zumal in einer weltanschaulich fragmentierten Gesellschaft. Ethik unterscheidet sich eben von Geschichtsphilosophie – man kann nicht oft genug darauf hinweisen. Zweitens. Überschätzt sich der Mensch, wenn er sich über das Tier erhebt, wenn er sich im Zentrum sieht, umgeben von der Welt, der Umwelt? Der Mensch ist das einzige Wesen, das mit Vernunft und Gewissen ausgestattet ist, das somit über andere Wesen urteilen kann, das sich nicht nur in einer bestimmten Weise verhält (instinktiv oder erlernt), sondern Gründe hat für sein Verhalten, die von höheren Vorstellungen abhängen (etwa von der Idee des Guten, Schönen, Wahren, Gerechten und Barmherzigen). Das genau ist Moralität, das macht den entscheidenden Unterschied aus zum sozialverträglichen Befolgen von Gruppenregeln. Ebenso unterscheidet den Menschen vom Tier die Fähigkeit zu planen, zu abstrahieren, zu transzendieren. Das bedeutet: Auch, wenn der Unterschied hinsichtlich des Genmaterials zwischen Schimpanse und Mensch marginal ist, so scheint doch gerade in diesen Spuren der Differenz das zu liegen, was ein in vollem Umfang moralisches Wesen ausmacht: Vernunft und Gewissen zu haben, aus Gründen und aufgrund von Werten zu handeln, dabei auch zukünftige Belange einzuplanen, ja, sogar über den Tod hinaus. Und nur ein solches Wesen ist in der Lage, sich in Beziehung zu setzen zur Welt und zum Anderen – zum Artgleichen und zum Artfremden. Und zu Gott.

Also: Ich habe nichts gegen Tiere. Ich finde, wir sollten sie, soweit dies vernünftig ist, schützen und vor Schmerz und Leid bewahren. Unvernünftig wird es dort, wo der Tierschutz aus Gründen geschieht, die den Unterschied von Mensch und Tier nicht berücksichtigen und nicht erkennen, dass der Mensch qua seiner Sonderbegabung mit Vernunft und Gewissen einerseits verantwortlich ist für ihn umgebende Natur, andererseits aber zentraler Bezugspunkt der Verantwortung sein und bleiben muss, dass er also die Tier- und Pflanzenwelt letztlich immer für sich schützt und vor dem bewahrt, was für ihn Schmerz und Leid bedeutet. Wir können die Welt – zu der Schmerz und Leid gehören – immer nur mit unseren Augen sehen. Tierschutz bewegt sich daher zwischen Empathie und Paternalismus. Er wird immer von uns aus erfolgen müssen, von unserem Mitgefühl und unserer Gestaltungsmacht her. Das einzuräumen ist keine religiöse Hybris, sondern ehrlicher Realismus. Zugleich sollten wir – so erhaben wir als Geschöpfe auch sein mögen – uns stets davor hüten, die Schöpfung gleich ganz in die eigene Hand nehmen zu wollen, ohne Respekt vor dem Schöpfer.

Das scheint mir überhaupt der größte Widerspruch bei Peter Singer und seinen Gefolgsleuten im Bereich der Tierethik zu sein: der Mensch wird zum Tier, damit das Tier zum Mensch werden kann – und dies verfügt er, der Mensch, in einer unendlichen Draufsicht auf das Weltgeschehen, in Kenntnis von Leid und Glück, von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, gewissermaßen von der Herrschaftswarte Gottes aus. Es bleibt ein Verdacht: Die souveräne Selbstreduktion des Menschen nach eigenem Gutdünken ist die eigentliche Hybris.

(Josef Bordat)